Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
gebot ich seinen Erklärungen Einhalt. Man konnte ihm nicht vorwerfen, dass auch er Dracons List zum Opfer gefallen war. Wie ich selbst schon so viele Male in den letzten Wochen. Er war ein Schmeichler, ein Betörer. Seine unschuldigen Augen könnten den Fürsten der Hölle erweichen. „Er gab mir das hier für dich.“ Athaír reichte mit einen Zettel.
Hallo Süße
,
sei nicht traurig, dass ich immer einen Schritt voraus
bin. Ich habe das Geheimnis der echten Legende
gelüftet. Unsichtbare Schrift! Ja wirklich. Ich habe sie
entdeckt. Bin ich nicht gut?
Die exakten Längen- und Breitengrade. Ein Kinderspiel.
Jetzt ist nur noch einer übrig. Wir sehn uns also beim
großen Showdown. Und zieh dir was Warmes an. Am
Südpol weht ein kühler Wind
.
Dracon
„Würdest du mich bitte zu dem Engel bringen?“, bat ich Athaír und steckte den Brief in meine Tasche.
„Solltest du nicht lieber gleich weiter zum letzten Engel reisen?“, warf Karim ein.
Ich schüttelte den Kopf. Dracon würde den Engel nicht heute verwandeln. Das wusste ich genau. Es wäre nicht sein Stil. Er stand auf einen spektakulären Showdown. Brauchte seinen großen Auftritt in letzter Minute. Er würde bis morgen warten. Sein Spiel spielen. Angst, zu verlieren gab es für ihn nicht, weil er sich uns allen überlegen fühlte. Bislang zu Recht.
Athaír führte mich in seiner Höhle an der Zauberwerkstatt vorbei, tiefer in den Fels hinein. Der See, den ich hier fand, brodelte vor Hitze. Ähnlich musste der See auf Hawaii nahe dem Vulkan ausgesehen haben. Dünne Rauchschwaden lagen über dem Wasser. Die Glut färbte den sandigen Fels rot. Und rot war auch der Engel. Augen aus Rubin, flammendes Haar, züngelnde Flügel – gelb und orange leuchtend. Das Rot seiner Tränen ließ den wabernden, kochenden See mehr wie Lava, denn wie Wasser aussehen.
„Ich halte ihn auf. Ich verspreche es dir“, sagte ich zu dem Engel. Doch ich erhielt keine Antwort.
Herz aus Eis
Nun war ich also zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage am Ort der dauerhaften Nacht und der schier unerträglichen Kälte. Unablässig prüfte ich die Umgebung nach Geräuschen, Gerüchen oder Energien, die ein Erscheinen des Geschwisterpaares angezeigt hätten. Bislang glücklicherweise vergeblich.
Die Engelhöhle war anders als die bisherigen. Man spürte die Kraft ihres Bewohners so deutlich wie bei keiner der anderen. Das hatte die Lykaner auch schnell auf die richtige Spur gebracht, nachdem sie im ewigen Eis angekommen waren. Und noch etwas kennzeichnete diesen Ort. Etwas, das ganz sicher niemand am Südpol erwarten würde. Am Kreuzpunkt der Eingänge, direkt vor dem Torbogen zur eigentlichen Höhle des Engels, stand ein einzelner Baum. Erstarrt zwar und kahl, aber als ich meine Hand auf seine eisüberzogene Rinde legte, konnte ich spüren, dass er von Leben durchströmt wurde. Keine Frage, die lebensspendende Kraft des siebten Engels war größer als die der anderen. Deshalb musste er auch als letztes verwandelt werden, um der Welt die ewige Nacht zu bringen.
In meinem Inneren hörte ich eine imaginäre Glocke die Stunden schlagen. Die eisige Luft am Pol gefror auf meiner Haut zu hauchfeinen gläsernen Stacheln. An meinen Wimpern bildeten sich winzige Eiszapfen. Die Zeit verstrich qualvoll langsam in der immerwährenden Dunkelheit. Eloin schüttelte sich das Eis aus dem Pelz, als er zu mir trat. „Eine ungemütliche Nacht“, verkündete er.
„Es ist heller Tag“, erklärte ich ihm. „Auch, wenn es hier nicht gerade hell aussieht.“
„Woher weißt du das, Seelenschwester?“
„Weil der Engel wach ist. Er schläft bei Nacht.“
„Mir frieren die Pfoten fest“, beschwerte sich Osira.
„Du sei still. Wo warst du in Afrika, als ich dich gebraucht hätte? Wenigstens du hättest Wache halten können.“
Sie knurrte mürrisch, erwiderte aber nichts darauf. Stattdessen leckte sie sich die kalten Sohlen.
„Damit machst du es nur schlimmer. Wenn du sie nass schleckst, frieren sie erst recht fest.“
Bevor ich noch weiter sticheln konnte, zog sie es vor, sich wieder in Luft aufzulösen.
Eloin musste darüber lachen. „Eine merkwürdige Freundin hast du da.“
„Wohl wahr.“
Die Höhle hatte vier Eingänge. An jedem davon wachten zwei Lycaner und zwei Vampire. Neben Eloin gehörten Lysandra, seine Gefährtin, und Ramael, Sapyhros Favorit, zu unserer Gruppe. Der Junge hatte noch nicht ein einziges Wort mit mir gewechselt, seit ich hier war. Offenbar verübelte
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