Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
er mir meine Abneigung gegen seinen Lord. Pettra hatte mich nicht hierher begleitet. Denn dieswar ihre Achillesferse. Die Kälte, die hier herrschte, wäre ihr Tod gewesen. So hatte jeder seinen verwundbaren Punkt. Für die einen das Feuer, für die anderen das Eis.
Plötzlich zerriss ein langgezogenes Heulen die eisige Luft. Eloins Augen begannen zu leuchten.
„Sie haben ihn!“, verkündete er und im nächsten Moment sprangen sowohl er als auch Lysandra in die Dunkelheit davon.
Ramael und ich folgten nach. Am zweiten Eingang stand unser Dunkler Prinz, eingekreist von Lycanern und Vampiren, am Ende seiner Reise.
„Ihr werdet mich nicht aufhalten“, sagte er mit fester Stimme, als ich hinzukam.
„Sie haben dich bereits aufgehalten, Dracon. Hier ist das Abenteuer vorbei. Du bist gescheitert.“
„Ach ja?“ In seinen Augen blitzte es höhnisch. „Wer von uns beiden hat mehr zu verlieren, Babe?“ Ich zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. „Befehle ihnen, mich durchzulassen, oder deine Süße stirbt.“
Woher wusste er es? Hatte er das Urteil aus den Gedanken anderer Vampire empfangen? Vielleicht sogar aus meinen eigenen? Zitternd stand ich da, unschlüssig, was ich jetzt tun sollte. Wenn Dracon den Engel verwandelte, würde der Mond die Sonne für immer verdecken und Ivanka würde leben. Dieser Gedanke war mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen, seit Lucien mir gesagt hatte, dass sie beim nächsten Neumond sterben sollte. Doch was es für die Welt bedeutete, wenn ich jetzt den Befehl gab, ihn gewähren zu lassen, wusste ich. Welches Recht hatte ich, so viele zu opfern für einen einzigen Vampir? Und wie sollte ich dann den anderen noch unter die Augen treten? Armand, Dad, Pettra, Lucien? Ich zögerte, hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und der Liebe zu meiner Dunklen Tochter.
Dracon lächelte siegessicher. Er schien meine Seele besser zu kennen als ich selbst. Schien zu wissen, wie ich mich entscheiden würde. „Kroah“, krächzte über mir in dem kahlen Baum eine Krähe. Ich hob den Blick. Eine blaue Feder leuchtete in ihrer linken Schwinge. Sie trug etwas im Schnabel. Wieder krächzte sie auffordernd. Als ich meine Handfläche nach oben hielt, öffnete sie den Schnabel und ließ ihre Beute fallen. Eine blonde Haarsträhne landete weich und seidig in meiner Hand. Ivankas Haar.
Da wusste ich, dass meine Tochter tot war und jede Hilfe zu spät kam. Tränen brannten in meiner Kehle, als ich wieder zu Dracon blickte. Ich wollte wütend auf ihn sein. Ihn hassen. Denn er war schuld, dass ich meinem Kind nicht hatte beistehen können. Er war schuld, dass ich sie überhaupt verwandelt hatte. Und er war schuld, weil er uns diesmal nicht entkommen war und der letzte Engel noch immer klare Tränen weinte.
Doch dann traf mich der Ausdruck in seinen goldbraunen, sanften Augen. Es lag keine Überheblichkeit mehr darin. Kein Hohn. Nicht mal Resignation, weil er es nicht geschafft hatte. Sondern nur ehrliches Mitgefühl und tiefes Bedauern. Es tat ihm leid. Wirklich leid. Langsam trat ich zu ihm hin, reichte ihm meine geöffnete Hand. Er zögerte nicht, sondern legte den Riemens des Beutels mit den Phiolen, die er noch nicht gebraucht hatte, hinein. Dann griff er mit beiden Händen in seinen Nacken, streifte etwas über seinen Kopf und legte es ebenfalls in meine Hand. Das Medaillon mit Mamas Bild.
„Ich habe gut darauf aufgepasst.“
„Lasst ihn gehen“, sagte ich leise. „Es ist vorbei. Und ich habe das Serum. Er kann keinen Schaden mehr anrichten. Lasst ihn ziehen.“
„Sollten wir nicht auf die Lords warten?“, fragte Ramael.
Ich musste an Lucien denken. Er wollte Dracon tot sehen, was ich ihm nicht verübeln konnte. Trotzdem brachte ich es nicht über mich. Was war mit Pascal? Ich glaubte fest daran, dass auch er noch immer im Körper des tückischen Verführers ruhte. Und dieser geschundene, verängstigte Junge, der den Lord anbetete wie einen Gott, hatte den Tod gewiss nicht verdient. Vielleicht ließ ich mir zu leicht etwas vormachen von Dracon. Vielleicht hatte er Pascal tatsächlich längst zerstört und nutzte ihn inzwischen nur noch nach Belieben, um seine Opfer – oder Gegner – zu täuschen. Aber ich konnte nicht sicher sein. Dieses innere Band, das ich spürte, galt ihm, nicht dem Dämon.
„Nein, das ist nicht nötig“, sagte ich daher mit fester Stimme.
„
Ant tochbetone
. Du enttäuschst mich,
thalabi
“, sagte Lucien mit trügerischer Ruhe hinter mir. „Ich
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