Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
hätte nicht gedacht, dass du mich wegen ihm verrätst.“
Ich drehte mich furchtlos zu ihm um. „Ich verrate dich nicht. Aber sein Tod bringt dir deinen Sohn nicht zurück. Und mir nicht meine Tochter.“
Er schritt an mir vorbei. „Es war unrecht, dass ich dir Das Blut gab. Shaytan. Aber es ist nie zu spät, einen Fehler rückgängig zu machen. Hier und jetzt werde ich wiedergutmachen, was ich angerichtet habe. Du wirst in meinen Armen sterben, wie du einst in ihnen neu geboren wurdest. Damit dein schwarzer Schatten nie mehr diese Welt verdunkelt und uns alle verrät und ins Unglück stürzt.“
Sein Griff um Dracon war so fest, dass dieser sich kaum bewegen konnte. Saphyros Kinder wichen respektvoll zurück. Lucien ignorierte das entsetzte Aufkeuchen seines Sohnes, als sich seine Augen mit Blut füllten und die Fangzähne lang und messerscharf über die Lippen hervortraten. In Dracons Gesicht stand nackte Furcht. Dracon – der überhebliche, unerschrockene und selbstgefällige Dämon. Er zitterte vor Angst und winselte um Gnade.
Ich hielt den Atem an. Wollte nicht Zeuge seines Todes sein und konnte doch ebenso wenig den Blick von der Szenerie abwenden. Sollte ich schweigend zusehen, wie Lucien seinen Dunklen Sohn tötete? Trug ich nicht eine Mitschuld an allem, was geschehen war?
„Lucien, lass ihn. Wenn du ihn tötest, musst du mit mir ebenso verfahren. Ich trage noch mehr Schuld als er. Nur mein Serum gab ihm überhaupt erst die Möglichkeit dazu.“
„Halte dich da raus,
thalabi
“, knurrte der Lord. „Es ist nicht die einzige Freveltat, die er begangen hat. Er hat den Tod mehr als verdient.“
„Nein!“, erklang die gebieterische Stimme einer Frau. Im nächsten Augenblick trat Kaliste in unsere Mitte, flankiert von zweien ihrer furchteinflößenden Garde. Ich stöhnte innerlich. Das war ja klar, dass sie doch noch hier auftauchen musste. Das Letzte, was ich mir gewünscht hätte, auch wenn sie vermutlich Dracons einzige Rettung war. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, sie hätte nichts von all dem mitbekommen. „Genug!“
„Er ist mein Sohn“, entgegnete Lucien. „Ich fordere seinen Tod. Es ist mein Recht.“
Die Ghanagouls richteten synchron ihre Lanzen auf meinen Lord.
„Nein“, wiederholte Kaliste, leiser diesmal und gebot ihren beiden Kriegern die Waffen zu senken. „Ich sage, es ist genug.“
Sie legte Lucien in einer trügerisch sanften Geste die Hand auf die Schulter. Dabei war jedem von uns Anwesenden klar, dass sie ihm von einer Sekunde zur nächsten das Genick brechen würde, sollte er ihrem Befehl nicht Folge leisten. Dafür brauchte sie keine Ghanagouls. Auch Lucien wusste das. Ebenso wie ich, warf er einen argwöhnischen Blick auf den dunkelblauen Ring, aus dem erste kleine Funken sprühten. Die Drohung, die sie nicht offen aussprach. Mein Lord war klug genug, sich der Königin nicht zu widersetzen.
„Überlass ihn mir, Lucien. Er ist zu wertvoll, um ihn der Menschen wegen zu opfern. Es ist vorbei. Die Jagd. Das Serum. Er hat verloren. Es ist genug.“
„Er bleibt eine Bestie“, zischte Lucien in einem letzten Aufbegehren von Zorn. Wohl um Leonardos Tod willen. Kalistes Augen blickten kalt wie Stahl.
„Das warst du auch. Und so ist es nicht verwunderlich, stammt er doch von deinem Blut. Aber diese Bestie hat ihren Verstand nicht eingebüßt im Angesicht des Dämons. Was du dir einst erst wieder erkämpfen musstest, blieb ihm erhalten. So sage mir, wer von euch beiden der Schwächere ist.“
Ihre Worte demütigten meinen stolzen Lehrmeister. Das sah ich in seinen Augen. Sie sprach eine Wahrheit aus, die keiner der Anwesenden kannte. Eine, die Lucien auch sicher nicht preisgeben wollte. Auch ich hatte nur eine Ahnung davon, nach dem, was er mir erzählt hatte. Dennoch trat er einen Schritt zurück und ließ Dracon los, der augenblicklich vor Kaliste auf die Knie fiel und ihr Dankbarkeit huldigte wie ein unterwürfiger Hund.
„Heuchler!“, schnaubte Lucien und fauchte wie eine seiner Raubkatzen.
„Danke mir nicht“, sagte Kaliste zu Dracon. „Du wirst deine Strafe bekommen für die Verbrechen, die du begangen hast. Ich schenke dir das Leben. Doch frage dich, ob du es noch wollen wirst, wenn ich die Strafe einfordere.“
Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen. Dracon erhob sich, um ihr zu folgen. Die beiden Wächter nahmen ihn in ihre Mitte, damit er nicht auf dumme Gedanken kam. Ich sah ihn an, er fühlte meinen Blick auf sich ruhen, drehte sich
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