Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Aschestaub, der durch den Luftzug, der von der Tür heranwehte zerstreut wurde. Ich konnte ihn riechen, diesen Staub. Ebenso, wie ich das brennende Fleisch noch riechen konnte, das längst nicht mehr da war. Nichts ließ auch nur im Entferntesten erkennen, dass das, was vor mir im Schmutz und Staub lag, einmal menschlich gewesen war. Aber nein, korrigierte ich mich, nicht menschlich. Menschenähnlich vielleicht. Welches Recht hatten wir noch, uns menschlich zu nennen? Keines! Wir sahen noch so aus wie die Menschen, die wir einst waren, aber menschlich war nicht einer mehr von uns. Wir waren Verfluchte, Ausgestoßene, eine Geißel für die Welt.
Ich wandte mich ab, konnte es nicht mehr ertragen auch nur eine Sekunde länger zu verweilen. Wortlos verließ ich an Armands Seite diesen Ort und seinen Herrn. Draußen vor den Toren der Burg nahm mein Liebster mich tröstend in die Arme, bis ich genug geweint hatte um all das, was verloren war. Schließlich trocknete er die roten Spuren mit dem Ärmel seiner Jacke und hob meinen Kopf, damit ich ihn ansehen musste. Sein Blick senkte sich in meinen und wir fanden das Versprechen wieder in den Augen des anderen, das wir uns damals gegeben hatten. In den Katakomben von Notre Dame, als er mich unsterblich machte.
Er sah meinen Schmerz, küsste mich zärtlich und hielt mich dann einfach nur fest. Göttin, wie hatte ich solch eine Geste vermisst. Diesen ehrlich gemeinten Trost. Mein Lord, der so viel Anspruch auf mich erhob, war nicht da, um mir in diesem tiefen Schmerz beizustehen. Aber Armand war da. Bewies mir ein weiteres Mal seine unerschütterliche Liebe. Etwas, das Lucien mir niemals geben konnte.
„Halt mich fest, mein Liebster“, hauchte ich und klammerte mich an ihn, wie eine Ertrinkende.
„Kommst du mit mir zurück nach London, ma chére?“
Ich schüttelte stumm den Kopf. Ich konnte nicht eher nach Hause zurückgehen und mein normales Leben wieder aufnehmen, bis auch der letzte Tropfen des Serums vernichtet war. Lucien hatte die Phiolen mitgenommen, um sie für mich zu verwahren. Damit ich zu Ivanka eilen und von ihren Überresten Abschied nehmen konnte. Jetzt wurde es Zeit, mich darum zu kümmern, dass nicht noch mehr Schaden durch meine Forschungen entstehen konnte.
Armand begleitete mich nicht. Der Isle of Dark wollte er sich nicht nähern. Aber er würde in London auf meine Heimkehr warten. Er würde nicht lange warten müssen. Mit einem langen, innigen Kuss verabschiedete er sich von mir. Sein Blick war wehmütig und voller Sorge, als er im Nachthimmel entschwand. Mein Herz wurde schwer, für einen Moment war ich versucht, das Serum zu vergessen und einfach mit ihm zu gehen. Doch stattdessen blieb ich allein zurück.
Zögernd stand ich auf den Klippen, vom Nachtwind umweht, die tosende See unter mir. Ich schloss die Augen, ergab mich dem Schmerz. Instinktiv breitete ich meine Arme aus. Dann fiel ich. Die Dunkelheit hieß mich willkommen, der Sturm umarmte mich. Mein Fall fühlte sich weich an, unendlich langsam. Kurz bevor ich die eisigen Fluten erreichte, genügte ein Gedanke und der Wind nahm mich auf seine Flügel, trug mich in den Himmel hinauf. Fort von der Burg, fort von ihrem Tod, zu Lucien.
Mein Herz fortan der Finsternis
Zugegeben, er war ein wenig enttäuscht. Bekümmert. Wütend. Sogar Dracon hatte sie vergeben können. Ihm, der ja nun wirklich genug Ärger verursacht und es gewagt hatte, Leonardo zu töten. Ein Knurren entrang sich seiner Kehle. Er wollte Rache, wollte sie so sehr, dass er fast daran erstickte, doch für den Augenblick waren ihm die Hände gebunden durch das Wort der Königin. Und Melissa hat diesem
shaytan
verziehen. Vergebung – was für ein widerliches Wort. Er grollte ihr noch immer für diese menschliche Gefühlsduselei. Doch sich deshalb von ihr abwenden, sie aufgeben, kam nicht in Frage. Dafür war sie zu wichtig. Also verzieh er ihr die Schwäche und machte sich stattdessen daran, diese verfluchte Menschlichkeit zum Schweigen zu bringen. Diesmal würde sie einen großen Schritt in Richtung Finsternis tun. Er war sehr sorgfältig vorgegangen, damit sie sich nicht wieder verweigerte. Aus Mitgefühl und Gewissensbissen.
Ein Opfer für ihre geschundene Seele. Ein Opfer, das ihr Frieden bringen würde. Das brauchte sie jetzt. Und mit einer kleinen Täuschung würde sie es auch annehmen. Sie war schon auf dem Weg. Um die letzten Ampullen des Serums zu vernichten, die er freundlicherweise für sie in Verwahrung
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