Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
lockte. Nicht einmal für ein paar letzte Sonnenstrahlen auf meiner kalten, toten Haut.
„Ich vermisse Ivanka“, gestand ich. „Ihr Tod erscheint mir sinnlos und grausam. Der Schmerz will einfach nicht vergehen. Wenn ich da gewesen wäre … Doch stattdessen musste ich Dracon jagen, damit er nicht die ganze Welt ins Verderben stürzt. Und das alles nur wegen dieser verdammten Formel? Ich verdiene den Tod mehr als er, nach allem, was ich getan habe.“
Lucien blickte lange hinaus aufs Meer. Dann drehte er sich zu mir um und sah mich nachdenklich an.
„Geh nicht so hart mit dir ins Gericht, Melissa.“
Ich sagte nichts. Wusste er überhaupt von dem Moment des Zögerns in mir? Von meiner stummen Bitte, Dracon möge den letzten Engel verwandeln, damit es keinen Sonnenaufgang mehr gab, der Ivanka töten konnte? Was hätte ich wohl getan, wenn Camilles Krähe mir nicht das blonde Haar meiner Tochter gebracht hätte? Wäre ich das Zünglein an der Waage geworden? Gegen Saphyros Kinder und die Lycaner. Nein, ganz sicher nicht. Ich wusste um die Konsequenzen, die es gehabt hätte. Dracon mochte sich dem irrigen Glauben hingeben, die Evolution würde schon einen Weg finden, mit solch einer Veränderung klar zu kommen. Doch ich nicht.
Trotzdem, ich hatte zumindest für ein paar Sekunden daran gedacht. Vielleicht hatte ich den Tod mehr verdient, als Lucien ahnte. Gedankenverloren warf ich einen Stein die steile Felsklippe hinab und blickte ihm hinterher, wie er in den tosenden Wellen verschwand. Ein letztes Mal versuchte ich, meinen Lord herauszufordern. Tod oder Leben für mich. Es sollte sich jetzt und hier entscheiden.
„Wenn das Blut der Clans sich nicht mischen darf, dann habe ich verdient, dass du mich Ivanka folgen lässt.“
„Ich kann schweigen, Melissa“, antwortete er sehr ruhig. „Und manchmal bin ich schrecklich vergesslich.“
Mein Kopf fuhr zu ihm herum. „Du weißt …“
„… dass Zolut von dir getrunken hat?
Naam aaref
. Ja, ich weiß es. Und jetzt ist er tot. Getötet vom eigenen Bruder. Es muss schrecklich für Kortigu sein.“
„Du hast Mitleid mit ihm?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Lucien nun seinerseits nachdenklich. „Kann ein fünftausend Jahre alter Vampir Mitleid empfinden? Nein, ich denke nicht, oder?“
„Nein“, stimmte ich ihm zu, „vermutlich nicht.“
Er seufzte leise. „Und all das aus Liebe. Ich sagte dir ja schon, dass solch ein Gefühl für unseresgleichen nichts taugt. Da siehst du, dass ich recht habe.“
„Er nannte mich ‚Schicksalskriegerin’. Weißt du, was er damit meinte?“
Für einen kurzen Moment glaubte ich Argwohn, ja sogar Zorn in Luciens Augen zu sehen, doch ich war mir nicht sicher. Er tat es gleichgültig ab.
„Vielleicht noch so eine Legende. Wer weiß. Ich denke, von Legenden haben wir im Moment genug, oder etwa nicht?“
Das hatten wir wohl. Ich für meinen Teil verspürte jedenfalls wenig Lust, schon wieder irgendwelche Reime lösen zu müssen, um eine Katastrophe zu verhindern.
„Ich muss zugeben, dass Demion mir, wenn auch ohne es zu wissen, einen großen Gefallen getan hat“, sagte Lucien.
„Dir einen Gefallen getan?“
„Ja, denn sonst hätte ich Zolut töten müssen.“
Ich war sprachlos. Er hätte einen anderen Vampir getötet, um mich zu schützen.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich riskiert hätte, dich zu opfern, wenn jemand davon erfahren hätte? Für nichts. Du konntest nicht einmal was dafür, dass es zum Bluttausch kam.“
„Warum tust du all das für mich? Warum diese Bemühung, mich unbedingt am Leben zu erhalten, zu schützen, mich bereit zu machen für die Ewigkeit, mich all das zu lehren, meine Seele zu beugen, bis sie sich dem Vampir ergibt? Damit ich nicht den Verstand verliere. Wofür das alles? Was bin ich dir schon wert, dass du all das auf dich nimmst? Ich weiß, wie unzufrieden du damit bist, dass ich noch immer viel zu menschlich bin. Dass ich leide unter dem, was ich tue. Auch wenn ich mich inzwischen damit abgefunden habe, es zu tun.“
„Ich denke, ich schulde es jemandem.“
„Schulden? Wem? Wofür? Meinst du Armand?“
Er schüttelte lächelnd den Kopf und strich mit dem Zeigefinger behutsam eine Strähne aus meinem Gesicht. „
Djamila thalabi
“, murmelte er. „Ich meine deine Mutter.“
Als mir der Mund offen blieb, nickte er. „Deine Mutter und Lilly.“
Ich war sprachlos. Was wusste er von Mum und Tante Lilly oder ihrer Beziehung zueinander?
„Oh,
teflate al
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