Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
keuchte nur kurz, schenkte dem hervorströmendenBlut aber keine Beachtung, sondern umfasste meinen Nacken und küsste mich auf den Mund. Der Geruch seines Blutes war übermächtig. All meine Sinne reagierten wie von selbst darauf.
„Tu es nicht“, knurrte Osira. „Tu es nicht, Melissa. Du darfst das nicht tun.“
Ich fauchte, hin- und hergerissen zwischen Osiras Warnung und dem Verlangen, das der Duft des jungen Mannes und die Liebkosungen seiner Finger in mir auslösten. Der Dämon war stärker. Ich wischte Osiras Worte beiseite und mit dem ersten Tropfen, der warm und süß über meine Zunge perlte, gab es kein Zurück mehr.
Das süßeste Blut, das ich je gekostet hatte. Es gab nichts Vergleichbares, nichts Köstlicheres, nichts, das so begehrenswert gewesen wäre. Unschuld. Reine Unschuld. Genommen erst in dieser Nacht durch meinen dämonischen Gebieter. Damit ich nicht schon beim Eintreten bemerkte, dass dies ganz sicher kein Kinderschänder war, sondern ein demütiger Diener Gottes, der in seinem ganzen Leben noch keine Sünde begangen hatte; außer der einen. Einem verschlagenen Seelenräuber wie Lucien zu vertrauen, sich freiwillig in seine Obhut zu begeben und seiner Verführung zu erliegen. Ich hatte mich täuschen lassen. Jetzt spielte es keine Rolle mehr. Es zählte nur, dass er mich nährte mit jedem Herzschlag, bis es für ihn kein Morgen mehr gab.
Lucien wischte mir mit dem Daumen über die Lippen, die noch feucht und rot vom Blut des Mannes glänzten. Langsam leckte er sich das Blut vom Finger, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er hatte gewonnen. Ich hatte einen weiteren Teil meiner Menschlichkeit eingebüßt. Ohne Reue.
„
Choloa gedan
. So süß, nicht wahr?“, flüsterte er. „Ihre Unschuld ist köstlich.“
Mir wurde schlecht und ich würgte schmerzhaft. Doch mein Körper gab das Blut nicht wieder frei. Göttin, wie weit hatte er mich getrieben? Ich hatte mich immer dagegen verwehrt, unschuldige Seelen zu rauben. Blut zu trinken, das so rein war. Ich hatte das verstörende Gefühl, etwas für immer verloren zu haben, was mir wichtig war.
„Es war der einfachste Weg, dich deine Menschlichkeit besiegen zu lassen. Dem Dämon Raum zu schaffen, damit dieser Kampf in dir endlich aufhört und du den Weg gehst, der uns bestimmt ist. Das Gesetz der Natur, dass die Raubtiere sich die Alten und Schwachen holen, weil sie leichte Beute sind.“
Angewidert blickte ich auf den nackten Körper zu meinen Füßen. Hatte er gewusst, dass er Blut getrunken hatte? Die dunkle zähe Flüssigkeit im Kristallglas. Schillernd wie ein Regenbogen. Schwerer, als jeder Wein. Mächtiges Vampirblut, das ihn in einen solchen Rausch versetzt hatte, dass er zum Sterben bereit gewesen war. Mir wurde schwindlig und Lucien stützte mich.
„Es geht vorbei, mein Herz“, sagte er, während er meine Schläfe küsste und mich hielt. Ich spürte sein selbstzufriedenes Lächeln. „Bald wirst du auch das genießen. Es ist besser für dich, wenn du keine Skrupel mehr hast.“
Ich fürchtete mich davor, dass er recht und ich diese Hemmschwelle für immer verloren hatte. Der Tod schmeckte gar nicht so bitter, wenn das Blut nur süß genug war.
„Weißt du eigentlich, wie viel Mühe ich mir dir zuliebe gegeben habe? Es war gar nicht so leicht, einen Mann zu finden, der alt genug ist, um deinen Seelenfrieden nicht zu stören, aber immer noch unschuldig genug, um dieses süße, reine Blut zu haben.“ Er lächelte verschlagen über die gute Idee, die er schließlich gehabt hatte. „Aber wie gut, dass es noch fromme Menschen auf dieser Erde gibt, nicht wahr?“
„Was geschieht mit ihm?“, fragte ich und war mir dabei gar nicht sicher, dass ich es wissen wollte. Wieder einmal Futter für seine Raubkatzen?
„Andy wird ihn in die Glades fliegen und dort abwerfen. Die Alligatoren haben sicher Verwendung für so einen zarten Leckerbissen.“
Luciens Stimme war so kalt und gleichgültig. Für ihn war dieser Mensch ein Niemand. Bedeutungslos. Und er verschwendete auch keinen Gedanken an das Leid einer Familie über solch einen Verlust. Über diese Ungewissheit, die sie zeitlebens nun quälen würde.
Warum auch? Er kannte diese Menschen nicht einmal. Und würde ihnen nie begegnen. Täglich verschwanden Menschen von den Straßen dieser Welt. Ob durch Gewalteinwirkung oder manchmal sogar freiwillig. Da kam es auf einen mehr oder weniger nicht an. Und die meisten der Menschen, die nie wieder gesehen wurden, hatten wohl ein
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