Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
Schicksal sah es vor, dass genau dies passierte. Ein gar nicht mal so zufälliges Aufeinandertreffen.
In einer schmalen Gasse des Hafens, flankiert von hohen, teils rostigen Containern, landete sie buchstäblich vor meinen Füßen. Ihr Blick war durchdringend, sie verzog keine Miene. Auch bei mir war alles angespannt. In Alarmbereitschaft. Wir taxierten uns. Ich spürte diesen Hauch von Feindseligkeit, Rivalität. Es strömte wie ein Duft von ihr herüber. Warnend.
„Der Hafen ist mein Revier! Nightflyer!“
Es klang abfällig. Ich war verdutzt. Den Begriff Nightflyer hatte ich noch nicht gehört. Von ihr klang er wie ein Schimpfwort.
Ich kam nicht mehr dazu, weiter nachzudenken, denn sie sprang in einer eleganten Drehung in die Luft und das nächste, was ich mitbekam, war der harte Absatz ihres Stiefels, der mich so hart am Kiefer traf, dass ich zu Boden ging.
Verdammtes Biest. Ich schnellte wieder hoch, mit ausgestrecktem Arm, erwischte ihre Kehle mit meinen scharfen Fingernägeln. Sie zuckte zurück und drückte eine Hand auf die tiefe, blutende Wunde. Tödlich für einen Sterblichen, weil ich Halsschlagader und Luftröhre zerfetzt hatte, wie mir das Gurgeln verriet, mit dem sie versuchte, Luft zu holen. Aber die Verletzung heilte bei ihr genauso schnell, wie der Bruch an meinem Unterkiefer. Wir verfügten also auf jeden Fall über die gleichen Selbstheilungskräfte. Fauchend ging sie auf mich los. Ich sah ein Messer aufblitzen, spürte es gleich darauf zwischen meine Rippen stoßen. Mir blieb die Luft weg. Trotzdem packte ich sie mit beiden Händen an dem Arm, der die Klinge führte, nutzte den Schub ihrer Bewegung und schleuderte sie gut vierzig Meter durch die Luft gegen einen Container. Sie stöhnte kurz auf, als einige ihrer Knochen knackten und blieb dann am Boden liegen. Zeit genug für mich, einen Blick auf meine aufgeschlitzte Bluse und die darunter liegende Haut zu werfen. Von dem Stich war nichts mehr zu sehn.
„Dein Glück, dass du mir nicht den Ledermantel beschädigt hast. Dann wäre ich richtig sauer geworden“, rief ich ihr zu.
„Um dein billiges Imitat wäre es nicht schade gewesen“, zischte sie zurück, rappelte sich mühsam wieder auf und klopfte den Staub von ihrem Mantel. Wir hätten glatt als Schwestern durchgehen können. Allerdings musste ich zugeben, dass ich zumindest was die Gesichtsfarbe anging, neben ihr eher kränklich wirkte.
Wütend starrten wir uns an. Was bildete sie sich eigentlich ein? Die Stadt war doch nicht ihr Eigentum. Was sie über mich dachte, konnte ich nicht sagen. Außer, dass sie mich für einen Nightflyer hielt, der ihr das Revier streitig machen wollte.
Wieder kam sie auf mich zugestürmt. Ich rettete mich mit einem Sprung auf das Dach eines Containers, doch sie folgte mir. Von Kampfsport hatte ich nicht die leiseste Ahnung, damit war ich ihr gegenüber klar im Nachteil. Ein paar weitere äußerst effektive Kicks von ihr beförderten mich aus der luftigen Höhe unsanft wieder auf den harten Boden der Tatsachen. Ihre Stiefel wären ganz sicher direkt in meinem Gesicht gelandet, um es zu zerquetschen, als sie mir nachsprang, hätte ich mich nicht in letzter Sekunde zur Seite gerollt.
Entschlossen sprang ich auf die Füße und rannte mit ausgestreckten Armen auf sie zu, um sie möglichst weit fortzustoßen. Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass sie ihrerseits meine Arme packte, um sich anschließend mit mir zusammen nach hinten fallen zu lassen. Ich flog sozusagen über ihren Kopf hinweg. Aber auch ich ließ jetzt nicht los, packte sie an der Kehle, würgte sie, bis sie keine Luft mehr bekam, während sie mir fast den Arm brach, bei dem Versuch, sich aus der Umklammerung zu befreien. Wir beabsichtigten beide, diesen Kampf wenn nötig bis zum bitteren Ende auszufechten, wäre Osiras Kommentar nicht dazwischen gekommen.
„Findet ihr das eigentlich nicht ziemlich albern, was ihr hier treibt?“
Wir blieben abrupt im Staub liegen, noch immer mit den Armen ineinander verhakt, und schauten zu dem Stapel Kisten hinüber, von wo dieser Einwand gekommen war. Osira und der graue Timberwolf der fremden Vampirin lagen einträchtig nebeneinander und schauten uns sichtlich gelangweilt zu. Fehlte nur noch, dass die beiden gähnten.
„Verräterin!“, zischte ich meiner Wölfin zu, was sie geflissentlich ignorierte.
„Ihr könnt euch nicht gegenseitig umbringen. Dazu seid ihr beide viel zu stark. Und außerdem besteht dazu auch überhaupt kein
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