Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
nicht wie jemand, der aus purer Neugier schaute, oder auf der Suche nach einem besonders hübschen Schmuckstück war. Sie wirkte eher wie jemand, der auf der Suche nach einer Menge Schmuckstücke war. Und zwar besonders günstig.
Kein Zweifel, sie war eine von uns. Da war ich völlig sicher. Unter ihren halbgeschlossenen Lidern funkelten die Augen dunkel wie die Nacht. Sie konnte kaum größer sein als ich, wirkte aber so, weil ihre Haltung stolz, fast arrogant war. Das lange Haar fiel ihr bis zur Taille so dunkelrot, dass es schwarz wirkte. Sie war athletisch, mit langen sehnigen Gliedern. Ihre Züge fein und scharf geschnitten. Hohe Wangenknochen, sinnlicher Mund.
Etwas störte mich an ihrer Erscheinung. Nicht ihre schwarze Kleidung, so typisch für eine Unsterbliche. Und sie hatte einen exquisiten Geschmack. Hosen aus feinem Wildleder, ein Hemd aus Seide, teure hochhackige Stiefel. Aber der Kontrast fehlte. Das war es. Ihre Haut hatte einen leicht gebräunten Teint, nicht die für einen Vampir typische Blässe. Ich blickte genauer hin, ob es ein Trick war. Etwas Makeup vielleicht. Aber kein Hauch dieser feinen Creme- oder Puderpartikelchen, mit denen Armand seine Opfer zu täuschen pflegte, war zu sehen. Und es war auch nicht das Gold dunklerer Hautfarbe, das nach der Wandlung blieb. So wie bei Lucien oder seinem Dunklen Sohn Dracon. Ihre Bräune war echt. Ein sattes, frisches Sonnenbraun.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging zu einem Wagen. Überrascht schnappte ich nach Luft. Nicht wegen des Fahrzeugs, einem blutroten Maserati, sondern wegen des Beifahrers. Auf dem Sitz neben ihr saß ein riesiger grauer Timberwolf. Osira erblickte ihn im selben Moment, was sie mit einem leisen Winseln kundtat. Die Vampirin startete den Motor und fuhr langsam bis zur Kreuzung. Die Ampel war rot, also musste sie warten. Plötzlich zog sie die Stirn kraus.
Sie hatte mich bemerkt. Oder besser gesagt, sie hatte die Tatsache bemerkt, dass ich sie beobachtete. Sie drehte den Kopf und sah mich an. Mir war bewusst, dass sie sofort erkannte, was ich war. Für eine Millisekunde blitzen ihre weißen scharfen Fangzähne auf, als sie mich anlächelte. Dann trat sie das Gaspedal bis zum Anschlag durch und fuhr mit quietschenden Reifen und wehenden Haaren davon.
*
Ah, sie war wieder da. Er hatte ihren Duft in der Nase, seit sie die Stadt betreten hatte. Und jetzt endlich hatte er sie auch gefunden. Sie war noch begehrenswerter geworden. Das Aroma des Dunklen Blutes, das durch ihre Adern floss, berauschte ihn. Er kannte die Note so gut. Es war sein Blut. Das mächtige Blut des Lords. Aber sie verlieh ihm einen ganz besonderen Hauch. Nach wilden Kirschen und süßem Honig.
Ob sie sich wirklich so schnell von ihrem geliebten Armand getrennt hatte? War Luciens Netz tatsächlich so eng gewebt? Armand war nicht hier. Für einen kurzen Augenblick hatte er geglaubt, auch seine Aura zu spüren. Doch es war nur ein flüchtiger Eindruck gewesen. Möglicherweise kam er auch direkt von ihr. Schließlich war sie von seinem Blut. Er kicherte. War sie wirklich von seinem Blut? Wohl eher vom Blut des Lords. Und vom Blut dieses roten Teufels, der ihn schon als sterblichen Knaben gequält hatte. Mit seinem Stolz, seinem Spott und seinem Begehren. Wäre der Lord nicht gewesen … Aber das spielte jetzt alles keine Rolle mehr. Das Schicksal hatte seinen Lauf genommen. Und meinte es offensichtlich sehr gut mit ihm. Lucien sah etwas Besonderes in der rothaarigen Hexe. Und der Lord irrte sich nicht. Er musste nur herausfinden, was genau es war. Vielleicht würde sie tatsächlich einen Weg finden, die Legende wahr werden zu lassen, von der er schon so lange träumte. Das wäre fast mehr, als er zu hoffen wagte.
Doch wenn nicht sie, wer dann? Wo der Lord solch großes Interesse an ihr bekundete. Und dass sie ein Geheimnis in sich barg, das hatte er schon erkannt, als er ihr das erste Mal begegnet war. Behutsam zog er die Blätter aus seiner Tasche, die er vor so vielen Jahrhunderten heimlich gestohlen hatte, ehe er sein Heim für immer verließ. Er hatte gewusst, die Zeit würde kommen. Und jetzt war sie vielleicht endlich da. Lächelnd gestand er sich ein, dass dies aber nicht der einzige Grund war, warum er sich an ihre Fersen heftete. Legende hin oder her, sie war einfach bezaubernd. Sie hatte ihn verzaubert. Seufzend lehnte er sich an die Hauswand und betrachtete verträumt Luciens erwählte Prinzessin.
Schattenvolle Rückkehr
Resigniert
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