Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
kehrte Franklin nach dem Besuch bei Armand wieder nach London zurück. Doch auch hier erwarteten ihn keine sonderlich guten Neuigkeiten. Camille war vor zwei Tagen zusammengebrochen und lag im Krankenhaus. Die Ärzte hatten John keine nähere Auskunft geben wollen, da er kein Familienangehöriger war. Und aufgrund Camilles Zustands ließ man ihn auch nicht zu ihr. Franklin würde da sicher mehr Glück haben.
Er machte sich nicht die Mühe, seine vom Flug verknitterte Kleidung zu wechseln, sondern fuhr sofort in die Klinik. Der Zustand von Melissas Großtante war ernst. Zumindest so viel hatte man John mitgeteilt.
Die kahlen Gänge wirkten abweisend und trostlos als er mit dem behandelnden Arzt, Dr. Spencer, zu Camilles Zimmer schritt. Fahles Neonlicht erhellte den Weg, vorbei an unzähligen Zimmern mit sterbenskranken Menschen. Allein die Station, auf der man Camille untergebracht hatte, verriet Franklin, wie schlimm es um sie stand. Es war die Todesstation. Gedacht für Menschen, deren Leben sich dem Ende neigte. Für hoffnungslose Fälle, bei denen nichts mehr blieb, als ihnen die letzten Tage so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu machen.
Warum war ihm nicht früher aufgefallen, wie sehr Camille sich verändert hatte? Wie ausgezehrt ihr Körper war. Wie fahl ihre Haut. Und wie matt ihre Bewegungen. Aber sie hatte sich alle Mühe gegeben, es niemanden merken zu lassen. Hatte all ihre Kraft darauf verwandt, Melissa auszubilden, damit sie in die Fußstapfen ihrer Mutter treten konnte. Sie hatte ihr eigenes Leben wie immer hinter das Wohl der Ashera und hinter das Schicksal zurück gestellt. Bis es zu spät war. Oh Camille.
Sie waren vor dem Zimmer angekommen, in dem man sie untergebracht hatte. Der Chefarzt klärte Franklin mit leiser Stimme über die Details auf.
„… nicht mehr viel tun können. Sie bekommt Morphium. In einer hohen Dosis. Erschrecken Sie daher bitte nicht, wenn sie apathisch wirkt. Der Krebs ist im Endstadium. Wir reden hier lediglich noch von Wochen, bestenfalls ein paar Monate. Mr. Smithers, haben Sie mich verstanden?“
Franklin starrte den Mann im weißen Kittel an. Er hatte jedes Wort gehört, aber verstanden hatte er nicht. Er wollte nicht verstehen. Endstadium? Wochen? Sterben?
„Vielen Dank, Dr. Spencer. Ich möchte jetzt gern zu ihr. Und wenn es geht, bitte allein.“
Der Arzt nickte und zog sich zurück. Sein Blick zeugte von Mitgefühl, aber auch von innerer Distanz. Nun, anders würde man all dies hier vermutlich auf Dauer nicht ertragen.
Leise öffnete Franklin die Tür. Der Anblick einer in sich zusammengesunkenen Gestalt auf dem weißen Kliniklaken war mehr als er ertragen konnte. Heftig kämpfte er mit aufsteigenden Tränen. Mit zitternden Beinen näherte er sich dem Bett.
„Camille!“ Er strich über ihre Stirn. Klamm und kalt. Leise stöhnend schlug sie die Augen auf.
„Franklin? Es tut mir so leid. Ich konnte nicht …“
„Scht! Ist gut Camille. Ruh dich aus. Du brauchst Ruhe.“
Sie lachte bitter. „Ruhe werde ich bald mehr als genug haben. Das weißt du doch.“ Sie machte eine Pause, um sich zu sammeln. „Ich möchte hier raus, Franklin. Bitte. Ich möchte nach Hause.“
Seine Augen weiteten sich vor Schreck. „Der Arzt meint …“
„Ich weiß, was der Arzt meint. Und ich weiß auch, dass ich bald sterben werde. Aber die pumpen mich hier mit Giften voll. Mit Morphium und Antibiotika und Cortison. Ich kann kaum mehr klar denken. Ich will so nicht sterben.“ Sie hob mühsam den Arm, um auf die Schläuche hinzuweisen, die all die vielen Flüssigkeiten langsam in ihren Körper tropften, die ihr Linderung verschaffen sollten. „Ich habe meine eigenen Mittel, Franklin. Du kennst mich. Ich werde es damit noch eine Weile schaffen. Es gibt noch Aufgaben, die ich erfüllen muss. Und dann kann ich mich in Ruhe von all meinen Lieben verabschieden und gehen.“
Der Schmerz drohte Franklin zu überwältigen. Mehr noch, da Camille so tapfer und gefasst blieb. Beharrlich wiederholte sie, dass sie nach Hause wolle. Und schließlich gab Franklin nach, suchte Dr. Spencer auf und erklärte ihm, er werde Camille in die Obhut der Ashera zurück bringen, weil es ihr ausdrücklicher Wunsch sei. Da Camille selbst die Verantwortung für diese Entscheidung übernahm, und man ihr keine geistigen Einschränkungen aufgrund ihrer Krankheit nachsagen konnte, blieb dem behandelnden Arzt nichts anderes übrig, als die Entlassungspapiere zu unterschreiben und seine Patientin
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