Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
und Tochter. Auch wenn wir fünfundzwanzig Jahre lang nichts von der Existenz des anderen gewusst hatten. Genügten diese Entfremdung und das Bewusstsein, dass ein Teil meiner Mutter in mir weiterlebte, um in Franklin so etwas auszulösen? Nein, es war vor allem der Vampir in mir, der mit seinen Gedanken und Gefühlen spielte, wenn ich nicht aufpasste und ihn im Zaum hielt. Ich musste sehr viel vorsichtiger werden. Mehr denn je wurde mir bewusst, wie wichtig Luciens Schule für mich war, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, irgendwann gänzlich vom Willen dieser Bestie beherrscht zu werden.
Seufzend erhob ich mich vom Beckenrand und wäre dabei um ein Haar mit Jenny zusammengestoßen, die sich gerade still und heimlich neben mich hatte setzen wollen.
Erschrocken fasste ich mir ans Herz, musste aber gleichzeitig lachen. Es war ja wohl eher meine Natur, mich lautlos anzuschleichen. Dass es Jenny gelungen war, sich mir zu nähern, ohne dass ich sie bemerkte, sprach sehr für ihre Fähigkeiten, ließ meine vampirischen Sinne jedoch in einem schlechten Licht dastehen.
Jenny war immer gut im Gedankenlesen. Deshalb musterte ich sie misstrauisch, ob sie irgendetwas von letzter Nacht mitbekommen hatte. Doch dem war nicht so. Falls doch, so ließ sie es sich zumindest nicht anmerken.
„Es ist gefährlich, sich an einen Vampir heranzuschleichen“, tadelte ich wenig überzeugend.
„Du bist doch meine Freundin. Du würdest mir nie etwas tun.“
„Vergiss nicht, was ich geworden bin“, bat ich sie leise. Es schwang eine gewisse Warnung in diesen Worten mit.
„Das tue ich nicht. Aber du bist für mich immer noch dieselbe, Mel. Du bist meine Freundin. Und eine Tochter des Lichts.“
„Ich bin nicht länger eine Tochter des Lichts, Jenny. Ich habe den Weg in die Schatten frei gewählt. Und nun ist meine Natur dieselbe, wie die eines jeden anderen Vampirs. Sinnlich, listig, skrupellos und böse.“
„Du bist nicht böse“, widersprach sie und klang dabei wieder wie das kleine Mädchen das wir von seinen Eltern fortgerissen hatten.
Göttin, war das wirklich erst vor etwas mehr als einem Jahr gewesen? Mir schienen es Ewigkeiten. Oh meine Kleine, wenn du wüsstest, wie böse ich bin, dachte ich. Aber kein Wort kam über meine Lippen.
„Du bist wunderschön.“
Ich lächelte über ihre Naivität. „Das Böse ist immer schön“, sagte ich und strich ihr dabei eine blonde Locke aus der Stirn. Eine zärtliche Geste, doch der Dämon in mir ließ selbst eine solch unschuldige Handlung verdorben und berechnend wirken.
„Nein, böse Menschen sind meistens hässlich“, stellte meine kleine Schwester entschlossen fest.
Jetzt musste ich lachen. „Du kannst menschliches nicht auf die übersinnliche Welt übertragen. Abgesehen davon sind auch viele böse Menschen wunderschön. Und in dieser – meiner – dunklen Welt ist das Böse immer schön. Oder setzt eine schöne Maske auf. Denn Geschöpfe wie ich leben davon, die Sterblichen zu betören. Mit unserer Schönheit und unserer erotischen Anziehungskraft. Wir verführen unsere Opfer. Das macht uns böse. Und wir tun es mit unserer Sinnlichkeit, die fester Bestandteil unserer Jagd ist. Merk dir das. Hüte dich vor Wesen wie mir. Um deines eigenen Überlebens willen.“
Sie verzog das Gesicht zu einer frechen Grimasse. „Ich kann schon auf mich aufpassen. Ich bin schon groß. Außerdem hab ich dich auch schon vor der bösen Hexe gerettet. Ich kann es mit allen Dämonen aufnehmen.“
Sie reckte stolz ihr Kinn, schlug sich heldenhaft vor die Brust. Ich konnte nicht anders, als darüber zu schmunzeln.
„Pass trotzdem auf dich auf, mein Schwesterlein, ja?“, sagte ich und nahm sie fest in den Arm. „Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, Mel. Bitte, du darfst nicht wieder weggehen, ja? Nie wieder.“
Ich hätte es ihr so gern versprochen, aber es wäre eine Lüge gewesen. Es zog mich fort von Gorlem Manor. Ich spürte es überdeutlich. Eine Weile konnte ich noch hier bleiben, doch danach musste ich wieder fort. Erst recht nach dem, was letzte Nacht geschehen war. Es lag nicht in meiner Absicht, die Willenkraft von mir und Franklin beständig auf die Probe zu stellen. Davon abgesehen vermisste ich Pettra. Das Versprechen, das ich ihr gegeben hatte, war noch offen. Ich hatte schon mit Armand darüber gesprochen und wir waren uns einig, dass wir sie besuchen wollten, sobald es möglich war.
„Ganz egal, wo ich bin, Jenny. Im Herzen bin ich immer bei dir. Vergiss
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