Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
der in meinen Gedanken etwas von dem Serum gelesen hat. Ich weiß es nicht.
„Ist ja auch egal. Wir kriegen das schon wieder hin. Ich bin in spätestens vier Stunden wieder bei dir.“
„Und dein Job?“
„Nicht lukrativ genug, um dafür eine Freundin im Stich zu lassen. Bis später.“
*
Er fühlte, wie dieses merkwürdige Zeug durch seine Adern pulste, es machte ihn noch immer ein wenig benommen. Er hatte es kurz vor der Morgendämmerung genommen. Oder besser gesagt, kurz bevor er aus der Darkzone in den anbrechenden Tag geflogen war. Die fremdartige Essenz strömte unter seiner Haut dahin, stellte sich der Sonne entgegen. Ah, die Sonne – sie stach in seine Augen, weil er so lange Zeit nur Dunkelheit, das Licht eines Feuers oder moderner Lampen gewohnt war. Aber Sonnenlicht war doch etwas ganz anderes. Er blickte auf seine Haut, sie war ohnehin nie ganz bleich gewesen, auch als Bluttrinker nicht. Jetzt jedoch hatte sie einen warmen Goldton angenommen, innerhalb der wenigen Stunden, die er unter dem blauen Himmelszelt mit dem feurigen Ball darauf verbracht hatte. Er musste sich nicht mehr fürchten, er war frei. Nach über fünfhundert Jahren war er wieder völlig frei. Kein Fluch mehr, der ihn an die Nacht band. Ansonsten veränderte das Serum nichts an ihm. Seine vampirischen Fähigkeiten waren stark wie eh und je.
Noch einmal prüfte er die Längen- und Breitengrade auf der Karte. Genau dort vorn musste es sein. Wo der Fluss aus einer Felsspalte sprudelte.
Eine sehr enge Spalte, stellte er mürrisch fest. Fast zu eng für ihn, mit seinen breiten Schultern. Er musste sich regelrecht hindurch quetschen. Das war dann wohl der Preis. Er hoffte nur, dass es an den anderen Orten leichter sein würde.
Hinter dem Spalt lag ein sehr schmaler Felsenpfad, einer Rinne gleich, durch die das Wasser strömte. Wäre dieser Ort näher an der Inka-Stadt Machu Picchu, hätte man glauben können, es handele sich um das Wasserleitungssystem dieses Volkes. Aber dieses schmale Flussbett war von einer größeren, sehr viel älteren Kraft erschaffen worden.
Nein, dieser improvisierte Fußpfad war ihm zu glitschig. Wozu war er schließlich Vampir? Er überbrückte die Entfernung zwischen dem Eingang in den Felsen und dem Durchlass zur eigentlichen Höhle im Fluge. Eis und Schnee knirschten leise unter seinen Füßen, als er die Grotte betrat, in der das Ziel seiner Suche auf ihn wartete. In dem Eis schimmerte hier und da Goldstaub. Er fuhr mit dem Finger über eine von der Decke hängenden, frostüberzogene Felsenspitze. Hauchfeiner goldener Puder blieb auf seiner Fingerkuppe haften. Er blies ihn fort und sah fasziniert zu, wie er die Luft für einen kurzen Moment zum Leuchten brachte, ehe er auf den kalten Boden rieselte.
Doch die tanzenden Goldpartikel waren nichts im Vergleich zu dem Anblick, der sich ihm bot, als er das Zentrum der Grotte betrat.
Gott, war er schön. Der erste Engel der Ewigen Nacht. Der erste Wächter des Lebens. Er näherte sich ihm langsam, kniete neben ihm nieder. Glasklare Tränen quollen aus dessen goldenen, mit ewigem Eis durchsetzten Augen. Und sie brachten das Wasser des Lebens hervor. Zaghaft streckte er seine Hand aus, um die bleiche Wange dieses wundervollen Geschöpfes zu berühren und die goldenen Flügel. Er zögerte, weil es ihm wie Blasphemie vorkam. Aber war nicht sein Vorhaben selbst die reinste Gotteslästerung, so es denn einen Gott gab?
„Süßer Cherubim, ich werde dich das köstlichste Elixier dieser Welt trinken lassen. Doch zuvor lass mich deinen Nektar kosten.“
So biegsam war der schlanke Hals, der sich bereitwillig in seine Hand schmiegte, die Haut wie Samt unter seinen Lippen, süß wie Honig auf seiner suchenden, tastenden Zunge. „Fürchte dich nicht“, raunte er dem Engel zu, woraufhin dieser antwortete, er habe keine Angst und ihn beim Namen nannte. Himmel, wie lange hatte er seinen richtigen Namen nicht mehr gehört? Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Im nächsten Augenblick erschauerte das Himmelsgeschöpf unter dem sanften Schmerz seines Bisses.
*
Ich war Pettra unendlich dankbar, dass sie mich nicht allein ließ mit diesem Malheur. Im Mutterhaus sagte ich erst mal nichts davon. Da auch niemand etwas bemerkt hatte, blieb so die Hoffnung, dass ich alles wieder grade rücken konnte, ehe etwas Schlimmes passierte.
Grade als wir zusammen im Labor saßen, um zu beratschlagen, wie wir den Dieb am schnellsten aufspüren und ihm die Phiolen wieder
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