Ruf des Blutes 2 - Engelstränen (German Edition)
sandte ich meinen Dämon aus, damit er mir ein passendes Opfer suchte. Das musste ich Lucien zugestehen, er hatte mich sehr gut gelehrt, wie ich dieses Ding in mir nach genau der Beute aussandte, die ich haben wollte. Eine schwarze Seele, dachte ich. Abgründig und ohne Skrupel. Von Sünden beladen.
Ich schlenderte die Einkaufsmeile hinunter, an den noch hell erleuchteten 24-Stunden-Shops vorbei, spürte die Schneeflocken auf meinen Wangen, die nicht sofort schmolzen. Meine Schritte klangen merkwürdig auf dem feuchten Asphalt, den nach und nach eine immer dichtere Schneeschicht bedeckte. Aber sicher nicht lange. In wenigen Stunden wäre das geschäftige Treiben wieder in vollem Gange. Zu viele Leute auf ihrem Weg zur Arbeit, in die Wallstreet oder die Fifths Avenue. Ihre Schritte würden den Schnee zum Schmelzen bringen. Eine Spur von Bedauern schlich sich in meine Seele, denn ich liebte das Geräusch von Schritten auf frisch gefallenem Schnee.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Vampir in mir, folgte ihm zielstrebig, während er um die Häuserecken strich, die Nase im Wind. Da war etwas. Ein verlockender Duft. Noch viel verdorbener, als ich es mir ausgemalt hatte. Ein ausgesprochen willkommener Tropfen, der mein Gewissen nicht im Mindesten belastete. Ich versuchte, ein klares Bild von meinem Opfer zu bekommen und stellte verwundert fest, dass es mir nicht gelang. Offenbar hatten die Cocktails, die Pettra und ich uns gegönnt hatten, doch ein wenig meine Sinne vernebelt. Ein alter Mann, nein, doch nicht. Ein junger Mann, oder? Er stand in einer Seitenstraße an die Hauswand gelehnt. Sein Gesicht lag im Schatten. Er wartete auf jemanden. Einen Freund? Nein, eher einen Bekannten. Oder einen Geschäftspartner; im weitesten Sinne. Ich roch den Tod an seiner Aura. Ein Killer, auf dessen Konto mehr als nur ein Mord ging. Sehr gut. Einfach perfekt. Ich bog von der anderen Seite in die Straße ein. Näherte mich lautlos. Endlich konnte ich ihn sehen. Ein perfekter Körper in schwarzer Lederkleidung. Fast zu schön, um ihn nur auszusaugen. Aber ich würde nicht von meinen Prinzipien weichen. Ein wenig Blut genügte mir. Sein Kopf war gesenkt. Langes schwarzes Haar verbarg sein Gesicht. Die linke Hand hatte er in der Hosentasche. In der rechten glühte eine Zigarette in der Dunkelheit. Ich rief den Dämon in mich zurück, so wie man einen Jagdhund zurückruft, wenn er das Wild aufgespürt hat. Noch immer bemerkte mich der Mann nicht. Dabei trennten uns keine fünf Schritte mehr.
Endlich spürte er meine Gegenwart, drehte langsam und gelassen sein Gesicht zu mir. Sein Anblick war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich fühlte Galle in meine Kehle steigen. Als ich in seine dunklen, trügerisch sanften Augen blickte, erstarrte die Zeit zu Eis. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Spürte, wie er einen Bann um mich wob. Zu stark für einen jungen Vampir wie mich, um sich dagegen wehren zu können. Ganz leise hörte ich seine Stimme in meinem Kopf.
„Hallo, Babe! Ich hab dich schon erwartet.“
Mein Bewusstsein explodierte in einer schillernden Wolke aus bunten Lichtblitzen vor meinem geistigen Auge und ließ mich in undurchdringlicher Schwärze zurück.
*
Er streichelte zärtlich ihr schlafendes Gesicht. Endlich war er ihr so nah, wie er es sich seit langem erträumt hatte. Aber leider konnte er nicht alle Sehnsüchte stillen, die gerade in ihm brannten. Es galt, Prioritäten zu setzen. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt. Offenbar quälte sie ein schlechter Traum. Kein Wunder nach dem Schock. Schade, aber er konnte sie jetzt nicht davon befreien, indem er sie weckte. Außerdem bezweifelte er, dass sein Anblick beim Erwachen die bessere Alternative für sie wäre. Wenn sie schlief, ließ sich auch ihr Geist viel leichter erforschen. Dieses verbotene Experiment. Wusste sie überhaupt, dass die Ältesten so was als Frevel ansehen könnten? Gut möglich, dass man vor der Königin Anklage gegen sie erhob. Aber nein, dazu müssten diese verblödeten, senilen Vampirgreise ja erst mal Wind davon bekommen. Und das würde ganz sicher nicht passieren. Lucien würde schon dafür sorgen, dass dieses Geheimnis nicht gleich jedem zugetragen wurde. Wie praktisch, auch für ihn.
„Na komm, Baby. Irgendwo in deinem hübschen Köpfchen hast du doch auch die Kombi für den Tresor. Ah, da haben wir sie ja.“ Dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Er konnte sein Glück kaum fassen. War das nicht Beweis genug? Wie gut, dass er
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