Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
lachen oder weinen sollte, dass mir die Ehre zuteil geworden war, bei diesem wichtigen Experiment eine Rolle zu spielen.
„Es war nicht nur ein Experiment, Mel“, sagte er eindringlich. „Ich liebe dich. Vielleicht habe ich auch deshalb mit dem Gedanken gespielt, ja, aber geplant war es nicht. Doch als ich dein Blut gerochen habe, da hat es irgendwie klick gemacht und ich war bereit, es zu riskieren.“
Auch wenn dem Ganzen ein gewisser Wahnsinn innewohnte, konnte ich Steven verstehen. Ich musste an Ivanka und Demion denken. Da war es nicht mal unterschiedliches Blut gewesen. Und trotzdem mussten sie sterben, weil sie aus zwei Familienzweigen stammten und ein Haufen alter Vampirgreise sich in den Kopf gesetzt hatte, dass die Familien reinblütig bleiben sollten. Wie würde man wohl auf unseren Affront gegen diese Regel reagieren? Reagierte überhaupt noch jemand, nachdem Kaliste die Zügel nicht mehr in der Hand hielt? Lucien hielt es für möglich, ich war anderer Meinung.
Lucien! Ich stöhnte gequält. Seine Standpauke konnte ich mir gut vorstellen. Aber hatte er Grund dazu, jetzt wo klar war, welchem Blödsinn wir aufgesessen waren?
„Ich hätte nicht anders gehandelt“, sagte ich schließlich zu Steven.
Im ersten Moment trat Ungläubigkeit auf seine Züge, dann Erleichterung. Er zog mich in seine Arme und so hielten wir uns umschlungen, saßen unbeweglich beieinander und lauschten unserem Herzschlag, bis eine Turmglocke die fünfte Stunde schlug. Bald würde die Sonne aufgehen.
„Ich muss gehen“, sagte ich. „Und mach dir keine Sorgen wegen Lucien. Er wird es verstehen.“
„Du wirst es ihm erzählen?“
Ich schüttelte den Kopf. Er würde es auch so wissen. Wenn es jemanden gab, der mich nie aus den Augen ließ, dann Lucien. Seltsam, dass er trotzdem so gut wie nie eingriff, wenn ich wieder im Begriff war, irgendeine Dummheit zu begehen. Auch eine Sache, die zusammen mit der Tatsache, dass er Steven die Blutflaschen überlassen hatte, eine dumpfe Ahnung wachrief.
„Ich glaube, es gibt keinen Vampir auf diesem Planeten, der nicht irgendwas mitbekommen hat. Kaliste und Tizian inbegriffen.“
Seltsamerweise rechnete ich dennoch mit keinerlei Konsequenzen. Ich erhob mich und suchte meine Kleider zusammen. Als ich die Jeans hochhob, fiel ein weißer, schon reichlich mitgenommener Zettel aus der Tasche. Armands Brief, den ich immer noch bei mir trug. Nichts in dieser Nacht wirkte so ernüchternd auf mich, wie dieses Blatt Papier. Meine Finger zitterten, als ich die Hand danach ausstreckte. Steven kam mir zuvor und hob ihn auf. Er warf nur einen flüchtigen Blick darauf, doch der Schatten, der auf seine Züge fiel, sprach Bände.
„Es ist nicht so wie du denkst.“
Er lachte freudlos. „Sagt man das nicht immer?“
Ich senkte den Blick. „Er ist mein Dunkler Vater. Wir waren unzertrennlich.“
„Es ist vorbei Mel“, sagte er eindringlich. „Wirf ihn weg. Lass es endlich hinter dir. Wir gehören jetzt zusammen. Oder siehst du das anders, nach dem, was wir gerade getan haben?“
„So einfach wie du denkst, ist das aber nicht.“
„Doch, wenn du es nur willst.“
Inzwischen beschränkte sich ihre unheimliche Zwillingsschwester nicht mehr auf den Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Von jeder spiegelnden Fläche blickte sie ihr entgegen, selbst ein Trinkglas löste bei Jenny mittlerweile Panikattacken aus, der morgendliche Besuch im Bad war die reinste Qual. Sie hatte Angst vor dem Alleinsein, weil ihr Spiegelbild dann unaufhörlich mit ihr sprach. Es half nichts, sich die Ohren zuzuhalten, die Stimme war überall.
„Jetzt sind wir nie mehr allein. Wir haben uns und brauchen all die anderen nicht.“ Tatsächlich isolierte es Jenny von den restlichen Ordensmitgliedern. Denn sie sprach mit niemandem darüber, verkroch sich von früh bis spät in der Bibliothek hinter Büchern. Ruhe fand sie nur noch, wenn Josh bei ihr war. Umso mehr ersehnte sie seine Besuche, die leider viel zu selten waren.
„Kannst du sie nicht einfach wieder fortnehmen?“, fragte sie verzweifelt.
„Aber, Jenny. Du sollst doch nicht mehr einsam sein, wenn ich nicht bei dir bin. Natürlich wird es eine Weile dauern, bis ihr euch aneinander gewöhnt habt. Du musst ihr eine Chance geben.“
Er schaffte es ihre Zweifel zu zerstreuen, indem er dieses süße Feuer in ihrem Körper entzündete, es nährte mit seinen Küssen und in ein Inferno verwandelte, sobald sie ganz und gar eins wurden.
Aber auch ihre Zweisamkeit
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