Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
tröstlich gewesen, zumindest das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein, wenn der Tod kam. Worte, eine Stimme, hätten ihm vorgegaukelt, dass wirklich jemand bei ihm war. Nicht nur ein Krafttier, das im Grunde lediglich einem Teil seiner selbst entsprach.
„Was soll ich nur mit dir tun, Armand?“
War es Einbildung, ausgelöst durch sein Wunschdenken? Das Totem hatte nie mit ihm gesprochen. Unmöglich, dass es ausgerechnet jetzt damit anfing. Unwahrscheinlich zumindest.
„Erst in deiner tiefsten Not vermagst du mich zu hören. Und ich fürchte, es wird nicht von langer Dauer sein.“
Tatsächlich, die Lippen der großen Katze bewegten sich. Es war keine optische Täuschung. Welodan sprach zu ihm. Ein FunkenHoffnung und Lebenswille kehrte zurück, schaffte es aber kaum, das Feuer in ihm wieder zu entzünden. Sein Herzschlag verlangsamte sich weiter, das Dunkel in seinem Kopf wurde dichter.
„Nicht einschlafen! Diese Flucht gönne ich dir nicht, denn sie wäre dein Verderben. Du bist zu oft geflohen, seit du in die Nacht geboren wurdest.“
Armands Herz krampfte sich zusammen, als Welodan mit seinen Worten Bilder heraufbeschwor, die ihn ebenso quälten, wie der Wundschmerz, ihn aber gleichsam am Leben hielten. Ja, er war zu oft geflohen, sein ganzes unsterbliches Leben davongelaufen. Vor seiner sterblichen Familie, der Verantwortung für seinen Sohn, er flüchtete sich vor Madeleines Tod in Lemains dunkle Umarmung, nur um auch ihn und die Gefühle, die sie verbanden, irgendwann zu verlassen. Auch bei Lucien hatte es ihn nicht gehalten und im Grunde war er sogar immer wieder vor seiner wahren Natur davon gerannt. „Hör mir zu, hör genau zu“, forderte Welodan. „Du wirst nie wieder davonlaufen. Und wir fangen genau jetzt bei mir an. Da du es immer noch nicht verstanden hast, erkläre ich es dir. Ich bin deine Kraft, Armand. Deine Reserve, wenn du selbst nicht mehr kannst. Greife auf mich zurück und verschließe dich nicht.“
„W… wie?“ Seine Stimme klang so schwach, dass es ihn selbst schauderte.
„Öffne dich für mich, sei eins mit mir. Betrachte mich nicht länger als ein eigenständiges Wesen, sondern als Teil deiner selbst.“
Er wollte es ja, wusste aber nicht wie. Eine letzte Hoffnung und doch unerreichbar. Verzweiflung drohte ihn zu ersticken, wurde zum Kloß in seiner Brust.
„Hab keine Angst.“
Welodans Flüstern war nun mehr in seinem Kopf, statt vor ihm und er konnte den Panther auch kaum noch erkennen. Schemenhaft sah er einen Mann vor sich, erkannte aber weder Konturen noch Gesichtszüge. Eine Hand streckte sich nach ihm aus, Freund oder Feind? Es spielte keine Rolle mehr. Der kalte Hauch des Todes streifte sein Gesicht, er schluckte.
„Vor…bei“, formten seine Lippen. Doch warum stach die Kälte selbst im Tode noch so schmerzhaft in seine Sohlen? Zuckten seine Glieder wie in Bewegung? Und fühlte er Schneeflocken auf seinem Gesicht?
„Darf ich reinkommen?“
Warren hatte auf mein Klopfen nicht reagiert, darum öffnete ich die Tür einen Spalt und streckte zögernd den Kopf hinein. Er zuckte zusammen, als er meine Stimme hörte, wirkte fahrig, nickte dann aber und bot mir einen Platz auf dem Bett an, setzte sich jedoch nicht zu mir, sondern blieb an seinem Platz am Fenster. Der starre Blick nach draußen wirkte, als habe er Angst vor etwas im Garten.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
Sein Gesicht war wächsern und verhärmt, die Lippen so fest aufeinandergepresst, dass sie kaum Farbe aufwiesen. Doch offenbar wusste er nicht so recht, wie er anfangen sollte.
„Warren, du musst schon mit mir reden. Eben unten in der Halle konntest du kaum erwarten …“
„Verdammt, ich habe mit einem Mann geschlafen, Melissa“, unterbrach er mich schroff. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Und ich habe es genossen.“
Im ersten Moment verstand ich die Problematik nicht ganz, da ich durch Franklin, Armand, Lucien und unzählige andere inzwischen keine mehr darin sah. Doch dann rief ich mir in Erinnerung, dass Warren nicht homosexuell veranlagt war. Weshalb hatte er mit einem Mann geschlafen? Da erst fiel mir der Schmerz in seinen Augen auf und meine vampirischen Sinne vernahmen die allzu vertraute Essenz in seinem Blut.
Ich schloss seufzend die Augen. Dracon. Wer sonst? Ich hätte wissen müssen, dass mein Blut Warren nicht für immer schützen würde. Nicht vor Dracon. Musste das jetzt auch noch dazu kommen? Hatte ich nicht wahrlich Sorgen genug?
„Ich fühle
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