Ruf des Blutes 4 - Unschuldsblut (German Edition)
vielleicht für unser Scheitern verantwortlich zu sein, lag nicht in seiner Natur. Also nickte er schließlich. Er würde Lucien heute noch anrufen und mit ihm verhandeln.
„Vielleicht …“, begann ich, brach dann aber wieder ab. Hielt ich es wirklich für eine hilfreiche Unterstützung oder hatte ich einfach nur Sehnsucht nach ihm?
„Ja?“
Ich räusperte mich und entschied, meinem Vater die Entscheidung zu überlassen. „Lucien hat mir in Miami einen Neurochirurgen vorgestellt. Einen mit besonderen Fähigkeiten.“
Franklin zog die Augenbrauen zusammen, weil er nicht verstand, worauf ich hinaus wollte und was ein Neurochirurg für uns tun könnte.
„Steven kann weit mehr als Neurologie, Dad. Er ist ein Vampir.“
Ihr Leib schlotterte wie Espenlaub, sie bot ihre ganze Kraft auf, doch es reichte einfach nicht. Wie eine kleine böse Ratte nagte die einschmeichelnde dunkle Stimme an ihrer Selbstkontrolle. Fraß ein immer größeres Loch hinein.
Sie wollte nicht in den Spiegel schauen. Die andere lauerte dort. Sie wartete auf sie. Saugte sie aus. Ihre Lebenskraft. Jedes Mal ein bisschen mehr. Das wurde ihr in den letzten Tagen immer bewusster. Ihre dunkle Schwester gierte nach Josh, wollte ihm nahe sein, dabei war Jenny im Weg. Erst recht nach dem Gespräch im Garten und im Kaminzimmer, weil sie auf Franklin und Mel hören wollte. Sie hatten recht, das war ihr klar. Es war ein Dämon in ihr, sein Dämon. Und sie musste ihn loswerden. Aber es war auch ihr Kind, das sie bereits liebte, zu spüren glaubte. Und ihr zweites Ich sah das sowieso ganz anders. Diese andere Jenny hatte kaum noch etwas mit ihr gemein. Die zarte Blüte der Sehnsucht, die in Jenny unter Joshs Zärtlichkeiten erwacht war, verwandelte sich in Sünde, wand sich in Sehnsucht auf dem Bett, nackt, mit gespreizten Beinen, um auf ihn zu warten. Die Empfindungen, wenn er da war, in sie eindrang und sie ausfüllte, machten ihr inzwischen Angst. Sie wusste nicht mehr, wie viel noch sie selbst war und was in Wahrheit die Gefühle der anderen. Aber sie war nicht stark genug, sich zu wehren, ihn zurückzuweisen oder wenigstens für sich allein zu fordern. Auch er redete immer wieder auf sie ein, dass ihr Spiegelbild doch zu ihnen gehörte, ein Teil von ihr sei. Und die andere wollte immer mehr. Von seinem starken Körper, seinem herben Duft, seiner samtigen Stimme, der Lust, die er ihnen bereitete und auch mehr von Jennys Leib und Seele.
Ein Schüttelkrampf ließ sie erbeben. Sie wollte so gerne tun, was Franklin und Mel ihr rieten. Wollte ihnen alles erzählen, auch von der anderen Jenny, doch jedes Mal, wenn sich die Worte in ihrem Mund formten war es, als schnüre ihr jemand die Kehle zu und drohe sie zu ersticken, wenn sie etwas verriet. Sie hatte schon viel zuviel verraten, warnte sie eine innere Stimme. Salzige Tränen liefen über ihr Gesicht, brannten in ihren Augen. Es gab kein Entkommen mehr, dafür war sie viel zu weit gegangen. Hatte das Spiel der beiden zu lange mitgespielt, weil sie Josh nicht verlieren wollte. Er hatte sie verhext mit alledem, bis sie ihm hörig war. Jetzt kannte sie die Wahrheit, wollte alles versuchen, um ihn und seine Brut in ihr wieder loszuwerden, doch sie war abermals zu schwach. Seine böse Kraft längst zu stark in ihr, genährt von jedem Liebesakt und davon hatte es so viele gegeben in den letzten Wochen.
„Jenny! Jennifer! Komm her zu mir. Sei ein liebes Schwesterlein“, lockte die Stimme vom Spiegel.
Wie von selbst bewegten sich Jennys Füße, ganz gleich wie sehr sie sich innerlich wehrte. Schritt für Schritt näherte sie sich dem Spiegel.
„Braves Kind.“
Wenn ich die Augen nicht öffne, hat sie keine Macht über mich, dachte Jenny und kniff die Lider zusammen.
„Tsetsetse! Böses Schwesterherz. Gönnst mir keinen Blick. Sei nicht so. Komm, sieh doch mal, was ich dir mitgebracht hab.“
Verführerische Süße schwamm in dieser Stimme mit, die mit jedem Wort dunkler wurde, bis sie klang wie die von Josh. Widerstrebend öffnete Jenny ihre Augen. Im Spiegel stand er, groß und breitschultrig, die grünen Augen sprühten Funken, und lächelte sie mit seinen weichen Lippen an. Diese Lippen, die jeden Zentimeter ihres Körper kannten und ihr ein Seufzen entlockten.
Die glatte Haut, die sich über die festen Muskeln seines Torsos spannte, schimmerte matt in unirdischem Licht. Er streckte eine Hand aus, sofort trat Jennys Ebenbild an seine Seite. Mit einem Laut des Erschreckens wich sie zurück,
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