Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Menge Sicherheitssysteme. Ich gestand mir ein, dass ich ohne Armand niemals hier durchgekommen wäre. Sein Auge erfasste jeden Laser, jede Lichtschranke, jedes Alarm-Modul und die dazugehörige Steuerung, um es außer Kraft zu setzen. Wir passierten mehrere Schleusen, Menschen liefen uns nicht über den Weg. Hier gab es keine Gefängniswärter, alles wurde elektronisch gesteuert. So waren Fehler ausgeschlossen und Bestechungsversuche unmöglich.
Als wir in den ersten Zellentrakt kamen, befiel mich die Angst, Ben nicht zu finden oder ihn nicht zu erkennen. Sechs Jahre! Sechs Jahre hatten wir uns nicht gesehen. Er konnte nicht mehr derselbe sein. Nicht in so einem Loch.
„Was machen wir mit den anderen hier?“, fragte Armand.
Er sah zu den vielen Zellentüren, die kein Ende nehmen wollten. Und das war nur eine von vielen Sektionen. Ob es mehr als nur die eine Ebene gab, wollte ich gar nicht wissen. Trotz des Hauchs von Schuldbewusstsein, der sich in mein Herz schlich, entschied ich mich.
„Wir können sie nicht alle mitnehmen. Und sie in der Wüste freizulassen, wäre ihr Todesurteil.“
Er nickte stumm. Ich verließ mich auf meinen Instinkt, konzentriere mich auf das, was Ben für mich ausgemacht hatte. Schließlich stand ich vor einer Zelle, die in mir das Bedürfnis weckte, hineinzugehen. Ich sah Armand an und nickte, damit er sie für mich öffnete.
Was auch immer ich mir vorgestellt haben mochte, die Wahrheit war schlimmer. Als ich vor der schmalen Pritsche stand und auf die schlafende Gestalt hinabsah, wusste ich, das war Ben, obwohl ich ihn kaum noch erkannt hätte. Ein Schatten seiner selbst, nicht im Entferntesten mehr der junge Mann aus Gorlem Manor. Und das alles nur, weil er auf meiner Seite gestanden hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde verabscheute ich meinen Vater. Ich sagte kein Wort, hatte auch sonst kein Geräusch verursacht und doch kam nach wenigen Augenblicken Leben in den Schläfer. Er spürte meine Nähe und schlug die Augen auf, drehte sich zu mir um, musterte mich lange. Ich kam mir vor wie ein Alien, vielleicht war ich das auch für ihn.
„Du hast dir de facto verdammt lange Zeit gelassen“, sagte er schließlich.
Seine Stimme klang erschreckend schwach, aber für das de facto hätte ich ihn küssen mögen. Er erhob sich von seinem Lager, ausgemergelt und schwach. Wir fielen uns in die Arme und eine Flut von Tränen lief mir übers Gesicht, während er nur immer wieder leise murmelte: „Ich wusste es. Ich wusste, du holst mich hier raus.“
Es dauerte Ewigkeiten, bis wir uns voneinander lösten und Worte fanden. Worte, die wir uns so lange nicht hatten sagen können.
„Ich wusste, dass du kommen und mich holen würdest. Und ich wusste, du bist unsterblich, wenn es so weit ist. Ich habe es gespürt. Auch hier drin, wo man nichts mehr fühlt, habe ich es gespürt. O Mel. Meine kleine Mel!“ Er nahm mich wieder in die Arme.
„Ich habe die ganzen Jahre geglaubt, du bist tot“, schluchzte ich.
„Hier ist man auch tot“, antwortete er. „Selbst wenn man lebt.“
Ich betrachtete sein Gesicht, streichelte es mit meinen kühlen Fingern. Er sah ausgezehrt aus und übermüdet. Das Leben hier musste schlimmer als die Hölle sein. Wenn Ben meinen Vater hasste, konnte ich das verstehen, doch er schien meine Gedanken zu erraten.
„Ich habe Franklin längst vergeben, denn ich weiß, dass er es inzwischen selbst für einen Fehler hält und darunter leidet. Er ist ein guter Mensch, er hatte nur Angst, dich zu verlieren. Sag, geht es ihm gut?“
Ich schluckte. Das war Ben, wie ich ihn immer gekannt hatte. Und ich war froh, dass er sich nicht geändert hatte, trotz der Umstände.
„Wir hatten einen harten Kampf mit Dämonen und er ist verletzt. Aber ich denke, er wird durchkommen. Er hingegen fürchtet, dass er sterben muss, deshalb hat er mir gesagt, was damals geschehen ist und wo ich dich finde.Sonst wäre ich nicht hier.“
Ben nickte. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Wir hatten später Zeit zum Reden. Armand hier zu sehen, überraschte Ben. Trotzdem umarmte er auch meinen Verlobten und war ihm dankbar für seine Hilfe.
„Wir müssen uns beeilen. Es wird nicht lange dauern, bis auffällt, dass hier die Sicherheitssysteme außer Kraft sind. Ich weiß nicht, ob ich sie ein zweites Mal lahmlegen kann.“
Er hatte die Worte noch nicht ausgesprochen, da ging der Alarm los. Rotes Blinklicht tauchte die Gänge in ein gespenstisches Szenario. In den Zellen wurden Stimmen laut.
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