Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Die Männer und Frauen wussten nicht, was geschah, gerieten in Panik. Überall hämmerte es gegen die Türen.
„Merde!“, fluchte Armand. So bald hatte er nicht mit einer Entdeckung seiner Sabotage gerechnet.
Ben ertrug alles schweigend, fragte nicht ein einziges Mal, ob wir noch jemand anderen mitnehmen könnten. Später erfuhr ich, warum. Die Gefangenen kannten sich untereinander nicht. Die Einzelzelle, aus der wir ihn geholt hatten, war alles, was er in den vergangenen sechs Jahren gesehen hatte. Das und die Arbeit, die man ihm zuwies.
„Schnell. Sie schließen die Schleusen“, rief Armand plötzlich aus. Und tatsächlich, vor uns schoben sich zwei gezackte Stahlwände aus Decke und Boden, wie das Maul einer großen metallenen Bestie. Uns blieb kaum Zeit zu überlegen. Wenn wir nicht hindurchkamen, waren wir hier eingesperrt und würden es vermutlich auch bleiben. Oder sterben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man Dämonen in dieser Anlage duldete.
Gerieten wir zwischen die Metallzähne, wurden wir zerquetscht, auch kein schöner Gedanke. Aber unsere einzige Chance.
Armand und ich nahmen Ben in die Mitte, der in menschlicher Geschwindigkeit niemals schnell genug gewesen wäre. Wie der Blitz schossen wir mit ihm durch die immer schmäler werdenden Spalte der Türen. Bei der letzten spürte ich schon die Berührung des kalten Stahls, hielt den Atem an, doch dann waren wir draußen und fielen in den Wüstensand.
Ben keuchte. Er war noch blasser geworden, zitterte am ganzen Leib, darum gönnten wir ihm einen Moment der Ruhe. Allzu lange wagten wir nicht, denn bestimmt tauchten bald die ersten Helikopter am Himmel auf. Dann war hier die Hölle los.
Den ganzen Weg nach Neuguinea würden wir nicht mehr schaffen. Schon gar nicht mit Ben in seinem Zustand. Also legten wir in der Türkei eine Pause ein und gingen mit ihm in ein Restaurant, wo er sich eine große Fleischplatte mit Beilagen bestellte und sie genüsslich vertilgte, als wäre es Ambrosia. Dabei erzählten wir ihm in Kurzform, was los war. Er winkte schließlich ab, es waren zu viele Informationen auf einmal für ihn, was ich gut verstand.
Nachdem er sein Essen mit einem Liter Cola hinuntergespült hatte, machte er ein seliges Gesicht und lehnte sich auf der Bank zurück. „Das war das Beste, was ich seit Jahren gegessen habe. Und das meine ich de facto völlig ernst.“
Ich musste lachen und war glücklich, ihn so zu sehen.
„Wie soll es jetzt weitergehen? Die werden nach dir suchen“, meinte Armand.
Ben nickte und machte ein ernstes Gesicht. „Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll. Zurück nach Gorlem Manor ja wohl kaum. Und außer der Ashera habe ich keine Familie.“
„Mach dir keine Sorgen, Ben. Wir finden einen Weg.“ Ich dachte an Pettra oder Lucien. Beide konnten ihm eine neue Identität verschaffen. Und Pettra hatte sich damals auch um Slade gekümmert. Steven war ebenfalls immer bereit, zu helfen. Ben würde bald mehr Freunde haben, als er dachte.
Falls ich gegen Kaliste bestehen konnte und sich die Attentate aufklären ließen. Ansonsten war unser aller Schicksal äußerst ungewiss.
Armand erriet meine Gedanken und drückte ermutigend meine Hand. „Franklin wird sich freuen, dich zu sehen. Das wird ihm Lebensmut geben. Dann können wir bald nach London zurück, wo wir erst mal ein Versteck für dich besorgen. Alles Weitere findet sich.“
Armand behielt mit allem Recht. Franklins Erleichterung, Ben gesund wiederzusehen, sich mit ihm auszusprechen und zu wissen, dass er ihm nichts nachtrug, beschleunigte seine Heilung immens. Ich wusste, dass Ben meinem Vater viel verschwieg und manches beschönigte, um sein Gewissen nicht noch mehr zu belasten. Als wir eine Woche später endlich nach London zurückkehrten, hatten sich beide Männer bereits gut erholt. Ben zog mit Armand und mir in unser Versteck, bis Alwynn etwas Eigenes für ihn aufgetrieben hatte. Franklin durfte sich in Gorlem Manor von Vicky gesund pflegen lassen.
Vertrauter Feind
Z wei Tage nach unserer Rückkehr erhielt Franklin vom Tribunal die Nachricht, dass der Befangenheitsantrag abgelehnt und er wieder im Amt sei. Kein Wort der Entschuldigung, keine Auskunft, wer den Antrag überhaupt gestellt hatte. Maurice war nicht begeistert. Offenbar hatte er fest damit gerechnet, diesen Posten dauerhaft zu bekommen. Uns war es recht, denn unter diesen Umständen wagten auch wir es wieder, nach Gorlem Manor zu gehen. Franklin konnte schlecht zu uns kommen, solange
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