Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
sich nicht anstrengen, aber es schien ihm wichtig zu sein. Also kniete ich mich neben sein Bett und nickte, dass ich ihm zuhören würde. Armand behielt derweil die Tür im Auge, falls Lätitia zurückkam.
„Ben lebt“, sagte Franklin leise, das Sprechen fiel ihm schwer.
Ich schluckte hart. Es lag Jahre zurück, dass Ben – mein Freund und großer Bruder in der Ashera – von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden war. Unter sehr mysteriösen Umständen. Ich war damals noch sterblich gewesen und hatte einen heftigen Streit mit Franklin gehabt, der letztendlich zu meiner Entscheidung führte, Armand in die Unsterblichkeit zu folgen. Wir hatten nie wieder über Ben gesprochen. Warum fing er jetzt davon an? Doch seine Gesundheit war mir wichtiger als das Verlangen, mehr zu erfahren. Ich hegte keinen Groll mehr und hatte diese Angelegenheit, wenn auch nicht vergessen, so doch abgeschlossen. Wenn er noch lebte, freute mich das und war ein Grund mehr, nicht in alten Wunden zu stochern, sondern das Thema ruhen zu lassen.
„Still, Vater“, bat ich und wischte ihm die Stirn mit dem Leinentuch ab, das neben seinem Bett auf dem Nachttisch lag. Er sah schlecht aus, fieberte und seine Wunden heilten langsam. Dämonische Wunden konnten einen sterblichen Körper vergiften und töten, selbst wenn sie anfangs nur oberflächlich wirkten. Seine gingen tief, er würde seine ganze Kraft brauchen, um sich zu erholen. Jede noch so kleine Anstrengung raubte ihm etwas davon.
„Wir reden später darüber“, versuchte ich, ihn zu beruhigen und stand auf. Doch er fasste meine Hand mit überraschend viel Kraft und hielt mich fest.
„Mel, es gibt vielleicht kein Später mehr für mich.“
Er hustete, fing sich aber wieder. Es war eine Last auf seinem Gewissen, die er loswerden wollte, weil er fürchtete, dass es zu Ende ging. Er wollte sein Gewissen mir gegenüber erleichtern, weil mir Ben so nahegestanden hatte. Franklin glaubte an seinen nahenden Tod. Fühlte er es? Ahnte es? Mehr als der Arzt? Ich bekam Angst um ihn, blickte schon zu Armand, damit er ihm doch den kleinen Trunk gab, doch mein Vater winkte ab.
„Ich war wütend auf ihn“, begann er. „Weil er sich auf deine Seite stellte. Sogar auf Armands Seite. Weil er mir Vorhaltungen machte, dass ich über dein Leben bestimmen würde. Und dass du ein Recht hättest, mit Armand zu gehen, wenn du es wolltest. Er sagte, dass ich dir die Wahrheit sagen und dann alles andere dir überlassen müsse. Aber ich wollte dich nicht verlieren.“ Er lachte bitter. „Dabei stand deine Entscheidung schon fest. Es ging nur noch um den Zeitpunkt. Ben hatte recht. Verloren habe ich dich von Anfang an nur durch mein Schweigen.“
Ich senkte den Blick, erwiderte nichts. Er wurde noch immer nicht damit fertig, dass ich damals diesen Weg gewählt hatte. Die Gründe dafür waren zahlreich und lagen auf der Hand. Darüber mussten wir nicht reden.
„Ich hatte Angst, dass er es dir sagen würde. Und er wusste doch alles über dich, Joanna, Armand und mich.“
Er machte eine längere Pause. Wohl um neue Kraft zu sammeln, damit er fortfahren konnte.
„Du kennst mich. Heute kennst du mich. Damals wusstest du nichts über mich. Du weißt, dass ich viel tue, um meine Ziele zu erreichen. Aber … aber ihn töten? Das hätte ich nie. Es hat mir das Herz gebrochen, dass du das von mir geglaubt hast. Und doch konnte ich dir die Wahrheit nicht sagen.“
Ich schwieg, obwohl ich an meinen Großvater – Carl – denken musste, den er von Armand hatte töten lassen, um Vater des Mutterhauses zu werden. Sicher, das hatte auch andere Gründe gehabt. War Carl doch nach dem Tod seiner Tochter Joanna – meiner Mutter – wahnsinnig und zu einer permanenten Gefahr für den gesamten Orden geworden. Sein Abdanken war notwendig gewesen. So stand es in den Akten. Wie viel davon der Wahrheit entsprach, wusste ich nicht. Offizielle Todesursache war ein Herzstillstand aufgrund einer Medikamentenüberdosis.
Franklin hatte mit seinen Vorteilen kalkuliert, als er die Entscheidung traf, Armand einen Mord in Auftrag zu geben. Somit konnte man nicht sagen, Mord käme für ihn nicht infrage. Aber welches Recht hatte ich, das zu verurteilen. Ausgerechnet ich – ein Vampir – der einzig davon lebte, Menschen zu töten? Und im Glauben an seinen bevorstehenden Tod hatte Franklin sicher keinen Grund, Halbwahrheiten in sein Geständnis zu packen. Also glaubte ich ihm, dass Ben noch lebte.
„Ich habe ihn nur
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