Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Rückschlüsse er daraus zog. Franklin hatte ihm wohl kaum alles erzählt. Sollte ich es ihm erzählen? Warum nicht? Es war nichts dabei.
„Auch er hatte keine Wahl mehr, als ich zu ihm kam. Die hatte unser Lord, Lucien, längst getroffen. Für uns alle.“
„Würdest du mir erzählen, wie das ist? Und ob man wirklich keinen Schmerz mehr verspürt, wenn man … in die Nacht wiedergeboren wird?“
Ich atmete tief durch. Darum ging es ihm? Doch hoffentlich nur aus Neugier. „Ganz so einfach ist es nicht“, antwortete ich. „Es stimmt, dass eine gewisse Kälte von einem Besitz ergreift, wenn man zum Vampir wird. Doch vorrangig gegenüber den Opfern oder allgemein dem Leid der Welt. Es kümmert dich weniger. Auch körperliche Schmerzen machen uns nicht viel aus, Wunden heilen schnell. Aber das, was uns tief bewegt, was uns selbst und die wenigen, die wir lieben, betrifft, fühlen wir sogar noch stärker als ein Mensch.“ Ich machte eine lange Pause und musterte ihn scharf, bis er sich unter meinem Blick verlegen zur Seite wandte. „Um seinem eigenen Schmerz zu entkommen und zu vergessen, Ash, ist die Wandlung nicht der richtige Weg und der Preis viel zu hoch, den du dafür bezahlen musst.“
Er antwortete nicht, obwohl ich in seinem Gesicht eine Vielzahl von Regungen erkannte. Welcher Schmerz quälte ihn so sehr, dass es zu solchen Gedanken führte? Der Tod seiner Frau? Aber der lag bereits einige Jahrezurück und gehörte zu den Dingen, die man als Lauf des Lebens bezeichnet.
„Du kennst mich nicht, noch meinesgleichen. Verlass dich nicht auf Wissen, das in Büchern steht. Es wird uns nicht gerecht. Und wenn ich erneut die Wahl hätte, wer weiß, ob ich mich dann noch einmal so entscheiden würde.“
„Dann erzähl mir doch, wie es ist“, meinte er gefasst. „Wie wird man denn wirklich zum Vampir? Ohne diese Lehrbuchbeispiele. Was bedeutet es, so zu sein wie du?“
Ich musterte ihn aus schmalen Augen. Es war besser, seinem Interesse gleich einen Dämpfer zu verpassen, ehe es überhandnahm und er am Ende jemanden fand, der ihm Unterricht am lebenden – oder untoten – Objekt erteilte. Die Vampirdichte in London war deutlich gestiegen, inklusive einiger Exemplare, bei denen ich sicher war, sie würden keine Skrupel haben. Ash einen kleinen Schrecken einzujagen, verleidete ihm hoffentlich weitere Neugier.
„Also gut. Es ist im Grunde einfach. Man lässt sich beißen, aussaugen – das tut auch nur ein klein wenig weh – und dann“, ich senkte meine Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern, „wenn man an der Schwelle des Todes steht, dein Leben vor deinem inneren Auge an dir vorbeigezogen ist und dich die Kälte bereits lähmt, das Licht lockt in dem Wissen, dass du es nie wieder erreichen kannst, wenn du diesen Schritt jetzt gehst, dann trinkt man das dunkle Blut der Unsterblichkeit.“
Mit den Tricks, die ich bei Lucien gelernt hatte, ließ ich die Kerzenflammen erlöschen und senkte die Temperatur im Raum um gut zehn Grad. Schade, dass ich nicht auch noch ein bisschen Geistergeheul erzeugen konnte. Osira zeigte sich mit fragenden Augenbrauen hinter Ash und bot sich somit als Ersatz an. Ich ignorierte sie, hatte Mühe, mir unter diesen Umständen das Lachen zu verkneifen.
Er schluckte auch so schon und zog mit einer unruhigen Geste an seinem Kragen, als würde er ihm zu eng.
„Es strömt durch deine Kehle, verbrennt dich. Da ist etwas, das über dich herfällt, dich zerreißt, dich verschlingt und wieder ausspeit, aber du darfst keine Angst haben“, fuhr ich fort und beobachtete weiterhin Osira aus den Augenwinkeln, die hoffnungsvoll auf ihren Einsatz wartete. „Wenn du Angst hast, tötet er dich.“
„Wer?“, fragte Ash und seine Stimme klang dünn und kratzig.
„Der Dämon.“ Ich senkte die Lider, nur um beim Öffnen meiner Augen diese umso stärker fluoreszieren zu lassen. „Er ist in unserem Blut, wird mit ihm weitergegeben. Eine Bestie, wie sie nur in den Tiefen der Unterwelt geboren werden kann. Ohne Mitleid, voller Gier. Er braucht starke Jäger, die ihn nähren. Die Schwachen tötet er bei der Wandlung.“
Es war nicht richtig, ihm solche Angst einzujagen. Eigentlich hatte ich nicht wirklich damit gerechnet, dass er sich beeindrucken ließ, aber das Thema Vampire war in seinem Abschlussexamen als Dämonologe wohl nicht explizit behandelt worden. Er hatte einen Dämpfer gebraucht, nahm das alles viel zu leicht in seiner Hoffnung, vergessen zu können, wenn er zu dem gefühllosen
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