Ruf Des Dschungels
verrottet und komplett kahl, so dass nur noch dürre Baumleichen aus der Erde ragten. Man erklärte uns, dass dies die Auswirkungen der Mine seien. Die toxischen Minenabwässer werden einfach in die Flusssysteme gepumpt. Dadurch ist auf einer Fläche von bis zu einem Kilometer auf beiden Seiten des Flusses alles biologisch tot. Da auch die Fische vergiftet wurden, ist eine wichtige Lebensgrundlage für die Papua zerstört. Und auch die Landtiere sterben durch die Verschmutzung des Wassers. So waren in den letzten Wochen zwölf Hühner auf unerklärliche Weise verendet.
In den für die Ernährung der Familien so wichtigen Gärten sah es noch trostloser aus. Was ich dort sah, war erschreckend; nichts war verschont geblieben, jede Pflanze, ob essbar oder nicht, war krank, verrottete oder hatte Wucherungen.
Eine Flüchtlingsfrau, die seit fünfzehn Jahren hier lebte, nahm mich zur Seite und fragte: »Wie können wir hier weitermachen? Wir sind gefangen zwischen zwei Fronten. Die eine ist die Verfolgung durch das indonesische Militär. Wir leben in ständiger Angst und können nicht zurück. Die andere ist die Zerstörung unserer Gärten. Wir dürfen nicht außerhalb der uns zugesprochenen Grenzen anpflanzen oder jagen. Die Sagobäume, unser Hauptnahrungsmittel, sind vergiftet und sterben ab. Bald werden wir hungern und können nichts dagegen tun. Was wird mit unseren Kindern passieren? Allein in diesem Dorf haben wir 350 Kinder! Wir haben keine Möglichkeit, Geld zu verdienen, um ihnen Medikamente zu kaufen oder sie zur Schule zu schicken – welche Zukunft haben sie, welche Überlebenschance, wenn sie jeden Tag vergiftete Nahrung essen? Was haben wir getan, um das zu verdienen? Und warum hilft uns keiner?«
Es war ein niederschmetterndes Gespräch mit einer Mutter, die für das Leben, die Zukunft und ihr Land flehte. Ich fühlte mich in diesem Moment wieder so hilflos, so wertlos, weil ich Teil einer Welt war, die so etwas zuließ.
Wir verbrachten fast eine Woche mit diesen Menschen, wurden ein Teil ihrer Gemeinschaft, und alles außerhalb des Dorfes schien eine Ewigkeit entfernt. Was mich am tiefsten berührte, war, dass sie trotz all ihrer Not, all ihrer Angst und ihrer Sorgen niemals das Lächeln verloren. Wie viele Menschen kenne ich hier in Deutschland, die mit einer ständigen Leidensmiene herumlaufen, ihr Leben beklagen und eine pessimistische Atmosphäre verbreiten. Und dort, in einem Lager mit vergessenen Flüchtlingen, lachen die Menschen noch, sind freundlich und warmherzig. Auf vielen Fotos, die ich geschossen habe, und auf den Filmen, die Steffen von dieser Reise gedreht hat, sieht man Menschen, die lächeln. Dies alles hat mich sehr demütig gemacht.
Mit der Hilfe einiger Menschen in Papua-Neuguinea fanden wir schließlich auch die Demonstranten von Abepura, die sich nun schon seit Monaten verstecken mussten. Und wie befürchtet, ist ihre Lage bis heute ernst. Wir brachten Lebensmittel und Medikamente und unterhielten uns mit ihnen. Sie fürchten um ihr Leben, wechseln ständig ihren Aufenthaltsort, um nicht gefasst zu werden, und baten uns dringend um Hilfe beim Verlassen des Landes. Viele von ihnen sind schon verhaftet worden, andere sind inzwischen tot, und die Verbliebenen versuchen im Urwald zu überleben. Ihr einziges Verbrechen: Sie haben gegen die Ungerechtigkeit und Korruption in ihrem Land demonstriert.
Unsere Hilfsgüter konnten nur ihre dringendste Not lindern. Ihre größte Bitte war: »Erzählt den Medien und der Welt, was in West-Papua mit unserem Volk geschieht. Es ist die einzige Chance, die wir Papua haben, um Gerechtigkeit und Menschenwürde zu erlangen. Ihr seid Europäer, euch wird man zuhören. Uns aber hält man immer noch für Wilde und Primitive.«
Auf dieser Reise habe ich wieder einmal gemerkt, wie gut es uns eigentlich in Europa geht. Mein Bestreben, etwas für Menschen in Not zu tun, ist dadurch noch stärker geworden. Auch von Steffen, der schon seit Jahren weltweit für die Rechte der Eingeborenenstämme aktiv ist, habe ich viel gelernt. Seine Erfahrung auf diesem Gebiet ist enorm, und ich habe großen Respekt für sein Engagement für die Menschen in Papua.
Es war eine harte und doch eine wundervolle Reise für mich. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die mich mit ihrer Lebenskraft beeindruckt haben. Und doch, als ich wieder im Flugzeug saß und auf die wunderschöne Landschaft schaute, überkam mich eine überwältigende Traurigkeit. Was konnte ich
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