Ruf Des Dschungels
dabei übers ganze Gesicht.
Na klar,
durchfuhr es mich,
das hätte ich mir denken können.
Es war typisch, dass die Jungen sofort nach unserer Ankunft nach etwas Erlegbarem Ausschau hielten, während die Mädchen, einschließlich Sophia-Bosa, draußen die unreifen Guaven vom Baum pflückten. Schon bei den Jüngsten sind die Rollen von Mann und Frau klar verteilt: Die »Männer« jagen, die »Frauen« sammeln.
Ich trat vors Haus, um mich ein bisschen umzusehen, und war begeistert, als ich eine Unzahl von Spinnen entdeckte. Sie hatten es sich zwischen den Wandbrettern und unter dem Haus, das auf Pfählen errichtet war, gemütlich gemacht. Fasziniert sah ich mir die verschiedenen Arten genauer an, alle in unterschiedlich schillernden Farben und mit eigenen Netzen, die sie mit großer Sorgfalt in die Ecken und Spalten der Bretter gewebt hatten.
Die Faszination, die ich schon als Kind für diese krabbelnden Wesen empfunden hatte, stieg wieder in mir hoch. Ich holte meine Kamera heraus und begann zu fotografieren. In einigen der Spinnennetze hatten sich Ameisen verfangen, und eine Spinne hatte gerade eine Ameise im Maul. Eine andere glänzte in allen Farben des Regenbogens. Die Fayu warnten mich, sie bloß nicht zu berühren, da sie beißen könnte.
Da rief eines der Mädchen nach mir. An der Unterseite des Hauses zeigte sie mir ein riesiges hellbraunes Exemplar, das angriffslustig wirkte. Niemand von uns wusste mit Sicherheit, ob das Tier giftig war, doch angesichts seiner Größe verging uns die Lust, es auszuprobieren. Ich suchte weiter mit wachsendem Interesse nach Spinnen und anderen Insekten und war begeistert, dass sich auf derart engem Raum so viele verschiedene Arten auffinden ließen. Ich fühlte mich wieder wie ein glückliches Kind.
Nach etwa einer Stunde folgte ich Fusai auf die Veranda, wo wir uns hinsetzten und Aron bei der Arbeit zusahen. Er hatte einen kleinen Rasenmäher mitgebracht und schnitt nun das Gras, während ein paar der Jungen Steine und größere Äste vom Boden aufsammelten, damit diese die Metallklingen nicht zerstörten. Als Fusai ein Gespräch mit Sophia-Bosa begann, fingen die anderen Mädchen an zu kichern, und Sophia-Bosa wirkte gereizt.
»Worüber redet ihr?«, fragte ich Fusai verwundert.
»Sophia-Bosa ist von einer
prempuan satu
zu einer
prempuan dua
geworden«, erklärte sie mir.
»Was bedeutet das genau?«, hakte ich nach.
»Weißt du denn nicht, Sabine, dass bei uns die Mädchen, wenn sie in die Pubertät kommen, nach der Größe ihrer Brüste eingeordnet werden?«
»Aha«, erwiderte ich. »Und das heißt?«
»
Prempuan satu
ist ein Mädchen Nummer eins. Das heißt, sie hat noch ganz kleine Brüste, die man mit einem Finger bedecken kann. Bei einem Mädchen Nummer zwei, also einer
prempuan dua,
braucht man schon zwei Finger dazu, bei einem Mädchen Nummer drei eine halbe Handfläche und bei einem Handvoll-Mädchen die ganze.«
»Das heißt dann, dass sie bereit ist zu heiraten, oder?«, fasste ich meine Vermutung in Worte.
Fusai nickte lächelnd.
Als wir damals hierher zogen, stellten meine Eltern bald verwundert fest, dass die Fayu buchstäblich nur bis drei zählen. Auf drei folgt dann gleich eine Handvoll, was nicht zwingend fünf bedeutet, sondern eben im wahrsten Sinne des Wortes eine Hand voll.
Fayu-Kind
Das fiel mir jetzt wieder ein, als Fusai mir erklärte, wie man das Alter von Mädchen bestimmte, und ich musste grinsen. Ich fragte mich, was sie wohl über meine älteste Tochter sagen würden, die nach ihrer Sichtweise nun bereit wäre zu heiraten, und das mit gerade mal vierzehn. Im besten Heiratsalter sozusagen, wie Fusai mir versicherte. Sophia-Bosa war mit ihren neun oder zehn Jahren also nun ein »Mädchen Nummer zwei«.
Nach unserer Rückkehr ins Dorf erzählte ich Papa sofort, was ich heute alles erfahren hatte. Er war fasziniert, weil er davon tatsächlich noch nie gehört hatte. Das Ganze konnte er sich nur so erklären, dass die Festlegung des »Brustalters«, wie ich es nannte, eine ausschließlich weibliche Angelegenheit war und damit für die Männer tabu.
Als die Sonne unterging, machte ich mich bereit zum Schlafengehen. Ich hatte völlig vergessen, wie schnell es hier dunkel wird. In Europa sind wir so sehr an Strom und elektrisches Licht gewöhnt, dass der Tag nur allmählich in die Nacht übergeht. Daher muss auch niemand hektisch letzte Vorkehrungen vor Einbruch der Dunkelheit treffen. In Foida dagegen sollte jegliche Aktivität
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