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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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beendet sein, ehe die Sonne untergeht, und das geschieht Tag für Tag um genau fünf Uhr nachmittags. Schon um sechs ist die Welt in totale Dunkelheit getaucht, und das einzige Licht stammt entweder von Feuerstellen oder Taschenlampen. Doch in der völligen Finsternis hilft beides nicht sonderlich viel.
    Nach einem schnellen Abendessen, es gab Reis und Bohnen aus der Dose, sprang ich unter die Dusche, putzte mir die Zähne und machte mich auf den Weg zu meinem Gästehaus. Aron war noch unterwegs, also zündete ich ein paar Kerzen an, damit er Licht hatte, wenn er zurückkam. Da ich die Batterie meiner Taschenlampe schonen wollte, kroch ich sofort unter mein Moskitonetz, vergewisserte mich, dass keine Mücke daruntergeschlüpft war, und machte die Lampe aus. Außer einem T-Shirt und Unterwäsche hatte ich nichts an, denn ich spürte, dass die kommende Nacht sehr heiß zu werden versprach.

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5 Der Beginn einer anderen Geschichte
    D raußen war es dunkel, nur das Feuer warf einen flackernden Schein in die pechschwarze Nacht. Die lauten Stimmen der Fayu drangen durch das Fenster des Gästehauses zu mir herein. Ich konnte nicht schlafen, die drückende Hitze machte mir das Atmen schwer. Es gab weder Fernseher noch Radio oder Computer, mit denen ich mich ablenken konnte. Meine Gedanken schweiften unaufhörlich und ohne Ziel umher.
    Plötzlich kamen Erinnerungen in mir hoch – Erinnerungen an meine ersten Jahre in der westlichen Welt. Es war eine Zeit der Ängste und des Schocks gewesen, Situationen, die ich nicht verstanden hatte; ich lebte in einer Welt, in der ich nicht mehr wusste, wo ich hingehörte und wie ich mich verhalten sollte. Es war eine Zeit, die von schlimmsten Erfahrungen geprägt war, Erfahrungen, die mich bis an den Rand des Abgrunds brachten.
    Instinktiv versuchte ich sie beiseite zu drängen, doch sie waren übermächtig. Ich zog mir das Kissen über den Kopf, um sie abzuwehren. Nein, ich wollte mich nicht daran erinnern, zu viel Schmerz, zu viele Sorgen waren damit verbunden. Mein Herz brannte, ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Mein innerer Schutzwall gegen die Vergangenheit begann zu bröckeln. Sorgfältig hatte ich all die Erlebnisse tief in mir vergraben, hatte mein Leben mit ständiger Aktivität gefüllt, um sie auf Sicherheitsabstand zu halten. Doch hier in der Stille des Dschungels hielt sie nichts mehr, und allmählich brach meine Abwehr in sich zusammen.
    Ich hätte diesen Schmerz am liebsten aus mir herausgerissen, ich hasste mich, ich hasste mein Leben. Die äußere Schutzschicht aus Stärke und Kraft, die ich in den letzten Jahren um mich errichtet hatte, schwand langsam. Auf einmal tat ich mir selbst unendlich leid und brach in Tränen aus. Ich kam mir vor wie in einem tiefen schwarzen Loch, so hoffnungslos, so verletzlich, so einsam.
    Die meisten Menschen denken, ich sei stark, doch tief in meinem Inneren war ich alles andere als das. Oft konnte ich mir nicht mal selbst ins Gesicht sehen, unfähig, mit meiner Vergangenheit umzugehen. Wie schwach ich doch war, wie viel ich in meinem Leben schon falsch gemacht hatte. Die Zukunft sah so finster und bedrohlich aus.
    Warum war ich auf dieser Welt? Ich war nichts als ein kleines Mädchen, das vorgab, erwachsen zu sein. Wenn die Menschen merkten, wie ich wirklich war, was würden sie dann von mir denken?
    Vor vielen Jahren hatte ich angefangen, mir meine eigene innere Welt zu schaffen, um vor der Realität zu fliehen, in eine phantasievolle Welt voller Farben, Abenteuer, ohne Grenzen und Beschränkungen. Eine Welt, in der ich stark war. Ich konnte mich nicht genau erinnern, wann ich mich zum ersten Mal in diese Welt geflüchtet hatte. Ich wollte der Realität entkommen, die mich zu zerstören drohte. Ausgerechnet in dieser irrealen, von mir selbst erschaffenen Welt war ich in der Lage, meine Stärke zurückzugewinnen und mich der Wirklichkeit wieder zu stellen. War ich unnormal? Ich weiß es nicht. Oder hatte die frühe Begegnung mit der Magie des Dschungels mir diese Fähigkeit verliehen?
    Was immer es auch war, auf einmal funktionierte es nicht mehr. Ich versuchte, alldem zu entkommen, doch es gelang mir nicht.
Himmel,
dachte ich entsetzt,
ich werde wirklich langsam verrückt. Ich muss aufhören, ich muss diesen dunklen Gedanken Einhalt gebieten.
    Ich setzte mich auf und fing an zu schreiben, in der Hoffnung, dadurch möge sich alles in Luft auflösen, doch mein Kopf wurde schwer, und ich war zu müde, um fortzufahren. Ich

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