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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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überlegte, aufzustehen und mich den Fayu anzuschließen. Doch Papa hatte mir davon abgeraten, meine Haut roch noch zu verlockend für die unzähligen Insekten, die den Dschungel inzwischen beherrschten.
    Plötzlich hörte ich ein leises Trippeln unter meinem Bett, winzige dünne Beine, die über den Holzboden eilten.
Eine Maus?,
fragte ich mich.
Oder eine große Spinne, eine Kakerlake oder sonst ein behaartes Wesen auf der Suche nach Beute?
Ich beschloss, die Sicherheit meines Moskitonetzes nicht zu verlassen. Wellen der Verzweiflung strömten über mich hinweg, doch ich war zu müde, um dagegen anzukämpfen, und fiel in einen unruhigen Schlaf. Im Dschungel war Stille eingekehrt, die Fayu hatten sich endlich hingelegt, und auch die zahllosen Insekten hatten ihre nächtlichen Beutezüge beendet und gaben Ruhe. Keine Wolke stand am nachtschwarzen Himmel, der Mond war nicht zu sehen, nur die Sterne durchdrangen die Dunkelheit wie ein Teppich funkelnder Diamanten. In dieser Nacht war es absolut windstill, lediglich die Feuchtigkeit kroch um jede Ecke, in jede Ritze und unter jedes Blatt.
    Lassen wir diese schlafende Welt, diese Nacht, in der meine Seele sich unter Schmerzen wandelte, nun hinter uns und reisen zurück in die Zivilisation.
     
    Es ist der 1 . Januar 2006 . Ich sitze in meiner Münchner Wohnung am Schreibtisch. Draußen ist es bitterkalt, dicke Schneeflocken fallen vom Himmel und überziehen die Welt mit einer weißen Decke. Vor ein paar Minuten habe ich eine E-Mail erhalten, nur wenige Zeilen mit einer Telefonnummer und einem Namen. Ich starre auf den Namen des Absenders und ringe mit mir, ob ich Kontakt zu ihm aufnehmen soll.
    »Er ist wichtig«, hat man mir gesagt. »Die Geschichte, die er zu erzählen hat, wird viele deiner Fragen beantworten. Er ist ein Augenzeuge.«
    Ich zögere noch eine Weile, dann schreibe ich den Namen und die Telefonnummer auf ein gelbes Post-it und hefte es neben all die anderen auf meinem Schreibtisch. Das ist mein System, um sämtliche zu erledigenden Aufgaben im Blick zu haben. Die Tage vergehen, und jedes Mal, wenn ich am Schreibtisch sitze, starrt mich das Post-it mit der fremden Nummer an. So auch jetzt, an diesem späten Nachmittag. Schließlich ziehe ich das Zettelchen ab und greife zum Telefonhörer. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt, während ich die Nummer wähle, in der stillen Hoffnung, es möge niemand abnehmen.
    Wovor habe ich eigentlich Angst?,
frage ich mich.
    Eine männliche Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Überrascht von der unerwartet schnellen Reaktion am anderen Ende der Leitung beginne ich zu stammeln, doch ich fange mich sofort wieder.
    »Spreche ich mit Benny Wenda?«
    »Ja, der bin ich«, bestätigt der andere.
    Nachdem ich kurz erklärt habe, wer ich bin und warum ich anrufe, antwortet er: »Ja, ich habe von Ihrem Buch gehört – habe es allerdings noch nicht gelesen.«
    Ich mag seine Stimme, sie klingt irgendwie beruhigend und vertrauenswürdig. Ich bin jetzt deutlich entspannter, und allmählich beginne ich mich zu öffnen. Ich erzähle ihm von meiner Kindheit, von meiner Reise nach West-Papua und davon, dass ich die Wahrheit über ein Land berichten will, das ich meine Heimat nenne.
    Schließlich rücke ich mit meinem Hauptanliegen heraus und frage ihn, ob er bereit ist, mir als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Ohne zu zögern, willigt er ein. Eine Welle der Erleichterung durchströmt mich. Wir vereinbaren, in Kontakt zu bleiben und uns so bald als möglich zu treffen. Ich bedanke mich, beende das Gespräch und wende mich wieder meinen Kindern zu – mit dem zutiefst befriedigenden Gefühl, einen Anfang gemacht zu haben.
    Doch erst als sich die Arbeit an diesem Buch schon ihrem Ende zuneigt, werde ich die ganze Geschichte des Benny Wenda erfahren, eines politischen Flüchtlings, der heute in England wohnt und dessen Zeugenaussage sich für immer und ewig in mein Gedächtnis einbrennen wird.

[home]
6 Vereint mit den Freunden aus der Kindheit
    L aute Stimmen rissen mich aus dem Schlaf, und ich brauchte einige Sekunden, bevor ich wusste, wo ich mich befand. Ich war in Foida, ich war bei den Fayu.
    Draußen war es noch dunkel, lediglich ein schmaler heller Streifen ließ sich am fernen Horizont erahnen. Mit einem Stöhnen zog ich mir das Kissen über den Kopf. Ich hatte es längst vergessen: Die Fayu schlafen nachts nicht mehr als vier bis fünf Stunden, was auch nicht weiter verwunderlich ist – denn wie soll man ohne Schutz

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