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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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vor dem krabbelnden Getier auf dem nackten, kalten Boden auch ruhigen Schlaf finden? Mir reichte es schon, wenn ich nachts ins Bad musste und am nächsten Morgen meinen Weg entlang der zertretenen Kakerlaken auf dem Boden genau nachvollziehen konnte.
    Verteilt über den Tag halten die Fayu kurze Nickerchen, vor allem über die Mittagszeit, wenn die Sonne am unerbittlichsten vom Himmel brennt.
    Als wir damals noch alle zusammen im Dschungel lebten, übernahm Mama bald schon diese Angewohnheit und beschäftigte sich des Nachts häufig damit, unerwünschtes Ungeziefer aus unserer Speisekammer zu verscheuchen, anstatt zu schlafen. Dafür legte auch sie sich tagsüber einmal ausgiebig hin, und es war uns strengstens verboten, sie dann zu stören, ausgenommen im Notfall.
    Eines Tages, ich war etwa neun, trat genau so ein Notfall ein. Mama erzählt diese Geschichte heute noch gern. Sie hatte den Vorhang vor dem Eingang zu ihrem Zimmer zugezogen, der als Tür diente, was hieß, dass sie nicht ansprechbar war. Plötzlich hörte sie ein Flüstern hinter dem Vorhang.
    »Mama, bist du wach?«, fragte die schüchterne Stimme.
    »Was ist los, Sabine?«, erwiderte sie leicht verärgert.
    »Ich blute«, kam die vorsichtige Antwort.
    Mit einem deutlich vernehmbaren Seufzen erhob sie sich, schob den Vorhang beiseite und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. Denn ich stand vor ihr und hielt ihr meinen verletzten Finger entgegen. Das Blut war bereits über die Hand und den Unterarm bis zum Ellbogen geströmt und hatte auf dem Boden eine kleine Pfütze gebildet. Bei einem unserer Abenteuerspiele hatte ich mir so tief in den Finger geschnitten, dass man den Knochen deutlich erkennen konnte.
    Seit jenem Tag wurde die Regel, wann wir Mama beim Mittagsschlaf stören durften, ein wenig gelockert. Außerdem schärften unsere Eltern uns ein, dass wir derartige Unfälle sofort mitzuteilen hatten. Denn ich hatte ganze zehn Minuten hinter dem Vorhang gestanden und mit mir gerungen, ob mein Problem nun schwerwiegend genug war, um Mama wecken zu dürfen.
     
    Mit der Erinnerung an dieses Ereignis lag ich nun hier im Bett, während die durchdringenden Stimmen der Fayu, vermischt mit Klagegesängen, die frühen Morgenstunden erfüllten.
    Schließlich schlief ich noch einmal ein, bis mich Aron endgültig weckte. Er war nach draußen gegangen und hatte dabei ganz unschuldig die kaputte Eingangstür geöffnet und geschlossen, die wie immer ein scheußliches Knarren von sich gab. Natürlich war bisher niemand – mich eingeschlossen – auf die Idee gekommen, sie zu reparieren. So ist das nun mal, hier im Dschungel.
    Als ich etwas später zu Papas Haus aufbrach, waren die Baumkronen leicht nebelverhangen, und anders als am Tag zuvor war es an diesem Morgen recht kühl. Papa saß schon am Frühstückstisch und kramte in der Blechdose nach den verbliebenen guten Keksen. Natürlich nahm er ausgerechnet die mit Vanilleüberzug. Ich fragte ihn, was für den Tag so alles geplant sei.
    »Geplant? Wieso geplant? Was um Himmels willen möchtest du hier denn planen?«, gab er amüsiert zurück. Er stippte einen Keks in seinen heißen Kaffee und schob ihn sich in den Mund.
    »Na ja«, antwortete ich unschuldig, »irgendwelche Ausflüge eben oder sonstige Dinge …«
    »Sabine, du hast eindeutig zu lange im Westen gelebt«, erwiderte er lachend. »Genieße einfach den Tag, und wenn sich etwas ergibt, dann können wir heute Abend behaupten, dass wir einen guten Plan hatten.«
    Tja, die Welt tickte hier einfach anders. Mein Hirn arbeitete noch immer mit Hochdruck, mein Körper sagte mir, es wird doch wohl irgendeine Verabredung geben, die du heute wahrnehmen musst, oder sonst etwas, das erledigt werden will. Aber es gab hier weder Telefon noch Internet, weder Straßen noch Büros. Von Einkaufsmöglichkeiten gar nicht erst zu reden. Der nächste Laden war Hunderte von Kilometern entfernt. Es fühlte sich immer noch etwas merkwürdig an, vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein. Sicher würde es noch ein paar Tage dauern, bis ich mich an das Gefühl gewöhnte.
    Nach dem Frühstück ging ich nach draußen und setzte mich zu den Frauen auf die Veranda. Da die einzelnen Siedlungen der Fayu relativ weit auseinander lagen, warteten wir immer noch darauf, dass auch die restlichen Stammesmitglieder endlich eintrafen. Bisher waren nur ein paar wenige Familien hier, die anderen seien noch unterwegs, hieß es.
    Sophia-Bosa setzte sich zu mir und gab mir etwas von ihrer frisch

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