Ruf Des Dschungels
brachte sie zu dessen Sohn, der in Kordesi wohnte. In diesem Dorf der Dou lebte auch ein alter Mann, der an den grausamen Kriegen gegen die Fayu teilgenommen hatte und die Fayu seither zutiefst hasste.
Der Alte brachte das Gerücht in Umlauf, der Fayu habe den Jäger umgebracht. Anfangs beachteten die Dou ihn nicht weiter, doch du weißt, wie das ist, Sabine. Wenn dir jemand immer wieder dasselbe ins Ohr flüstert, fängst du an, darüber nachzudenken. Mit der Zeit staute sich in dem Sohn des toten Jägers eine enorme Wut auf, und irgendwann schenkte er den Lügen Glauben.
Etwa ein Jahr danach machte sich eine Gruppe Fayu, unter ihnen auch Kloru mit seinem Sohn Tuare, auf den Weg nach Kordesi, wo ein Flugzeug landen sollte. Sie warteten auf Neuigkeiten von deiner Mutter und mir. Die Fayu ließen Pfeile und Bogen in ihren Kanus und gingen ins Dorf. Da es seit Jahren keinen Krieg mehr gegeben hatte, verzichteten sie darauf, ihre Waffen mitzunehmen.
Kaum erreichten sie Kordesi, fingen die Dou eine zornige Diskussion mit ihnen an und beschuldigten die Fayu des Mordes an dem verschollenen Jäger. Da der Streit eskalierte, liefen einige Fayu zu den Kanus, um ihre Waffen zu holen. Als sie zurückkamen, hatten die Dou bereits Kloru mit einem Buschmesser angegriffen, und er blutete aus mehreren Wunden. Die ersten Pfeile flogen, ein Dou-Mann stürzte tödlich getroffen zu Boden und drei Fayu wurden von gegnerischen Pfeilen verletzt.
Fayu-Krieger (Bebe)
Die verwundeten Fayu rannten zu ihren Kanus und paddelten in Panik davon, verfolgt von ein paar Dou-Kriegern. Als die restlichen Fayu zum Fluss laufen wollten, wurde ihnen der Weg von den Dou-Kriegern abgeschnitten, und sie flüchteten in den Dschungel. Bald bemerkten sie, dass der Sohn des toten Jägers sie verfolgte, schossen und trafen ihn mit einem Pfeil. Schwer verletzt stürzte er zu Boden. Erschrocken und völlig verwirrt rannten die jungen Fayu-Männer den weiten Weg zurück in ihr Stammesgebiet.
In der Zwischenzeit hatten die Dou per Funk um Hilfe gebeten. Es dauerte nicht lange, bis der Hubschrauber kam und zwei verletzte Dou ins Krankenhaus flog. Doch den Sohn des Jägers fanden sie erst Stunden später, und aus unerklärlichen Gründen weigerten sich die Dou, diesen Mann im Krankenhaus behandeln zu lassen. Drei Tage später erlag er seinen Verletzungen.«
»Und was ist mit den verletzten Fayu?«, fragte ich Papa entsetzt. »Wurde ihnen nicht geholfen?«
»Natürlich wurde ihnen geholfen«, sagte Papa, »doch erst am darauffolgenden Tag. Der Hubschrauber flog nach Foida, um die Verletzten dort abzuholen und ins Krankenhaus nach Jayapura zu bringen. Doch als der Sohn des Jägers starb, war das gesamte Dou-Dorf in hellem Aufruhr, und der Ruf nach Rache wurde laut. Damit hatte der alte Mann sein Ziel erreicht.
Und stell dir vor, was dann passierte, Sabine. Die Dou nahmen mein Boot, das ich bis zu meiner Rückkehr am Ufer vertäut hatte, fuhren in das Gebiet der Fayu und benutzten es als Köder, um die erste Fayu-Familie, die ihnen begegnete, anzulocken. Sie behaupteten, sie hätten eine wichtige Nachricht von Klausu zu überbringen. Natürlich kamen die Fayu daraufhin näher, und die Dou fielen über die wehrlose Familie her, einen Mann, seine hochschwangere Frau und ein kleines Mädchen. Das Ehepaar kam ums Leben, doch wie durch ein Wunder überlebte die kleine Tochter den Angriff. Sie hatten ihr den Bauch aufgeschlitzt, aber sie atmete noch, als die Fayu sie ein paar Stunden später fanden. Sofort riefen sie erneut den Hubschrauber, der das Mädchen ins Krankenhaus brachte.«
»Das muss ja furchtbar für die Fayu gewesen sein«, sagte ich mehr zu mir als zu Papa.
Papa nickte und fuhr fort: »Die Fayu-Stämme waren ebenso entsetzt wie du, und zum Zeichen der Trauer rieb jeder Einzelne, egal ob Mann, Frau oder Kind, seinen Körper mit Schlamm ein. Ohne Unterbrechung ertönten Klagelieder, Tag und Nacht.
Als mich die Nachricht von dieser Schreckenstat in Deutschland erreichte, nahm ich sofort die nächste Maschine und flog zurück nach West-Papua. Das kleine Mädchen hatte zum Glück überlebt, und ein anderes Fayu-Paar adoptierte sie.«
»Ist es das Mädchen, das bei Nakire und Fusai lebt?«, fragte ich.
»Ja, sie haben die Kleine bei sich aufgenommen und ziehen sie groß.«
»Und was ist dann passiert?«, wollte ich wissen.
»Bei meiner Landung in Kordesi bat ich um ein Treffen mit dem Häuptling der Dou und den Stammesältesten«, fuhr Papa fort.
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