Ruf Des Dschungels
Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung, Missachtung der Grundrechte – etwa das Recht auf Bildung oder auf medizinische Versorgung –, an der Tagesordnung. Die Staatsflagge mit dem Morgenstern wurde verboten, und wer damit erwischt wird, dem drohen bis zu 25 Jahre Gefängnis. Ironischerweise steht auf das Töten eines Einheimischen lediglich eine Strafe von ein bis drei Jahren. Und noch immer will die Welt nicht hinsehen.
Frau Kuegler, Sie sehen es selbst: Die Indonesier wollen unser Land, aber nicht das Volk. Wir sind die Eigentümer von West-Papua, doch hat uns niemand jemals gefragt, was wir eigentlich wollen. Die Indonesier haben uns unsere Würde und damit auch die Zukunft genommen. Und die internationale Staatengemeinschaft hat uns ebenfalls sämtliche Rechte als Eigner dieses Landes abgesprochen.
Die Indonesier behandeln uns wie Tiere und stecken uns in Käfige der Unterdrückung. Sobald die Einheimischen auch nur versuchen aufzubegehren, machen sie Bekanntschaft mit dem Militär. Sie werden als Rebellen gebrandmarkt, verhaftet, ins Gefängnis geworfen und nicht selten misshandelt. Und wenn ihnen schließlich der Prozess gemacht wird, gesteht man ihnen oft noch nicht einmal einen Anwalt zu, der sie verteidigt. Wir Papua haben den ›Act of Free Choice‹ nie anerkannt, genauso wenig wie wir dulden, dass Indonesien unser Land besetzt hält. Wir haben all das nie gewollt. Wir gehören nicht zu Indonesien, weder heute noch in Zukunft. Wir wollen unabhängig sein, wir verlangen uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht. Doch sobald wir versuchen, die internationale Gemeinschaft auf uns aufmerksam zu machen, lügen die Oberen in Jakarta das Blaue vom Himmel herunter. Sie haben nie die Wahrheit gesagt. Und so dauert der Kampf bis heute an.
Offiziell beläuft sich die Zahl der Todesopfer seit der Invasion Indonesiens auf 100 000 , aber tatsächlich ist sie ungleich höher. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viele Menschen tatsächlich gestorben sind, bevor nicht eine unabhängige Untersuchung stattgefunden hat. Und wahrscheinlich ist es selbst dann nicht mehr möglich.
Was noch hinzukommt, ist die Ausbeutung unserer Ressourcen. Allen voran ist die schon erwähnte Firma Freeport verantwortlich, die in Timika eine Gold- und Kupfermine betreibt. Sie behaupten zwar, Millionen für die Entwicklung der einheimischen Stämme auszugeben. Doch sehen Sie sich mal rund um das Firmengelände um, und sprechen Sie mit den Menschen, denen das Land früher gehört hat. Was fällt Ihnen da auf? Die Leute leiden. Sie haben weder anständige Häuser noch ausreichend Schulen.
Und dann ist da noch unser Urwald. Er wird abgerodet, gnadenlos. Ein Teil der Rodungen mag durchaus legal sein, indem die Holzfirmen sich Lizenzen besorgen, der andere, größere, erfolgt illegal. In beiden Fällen werden dabei Millionen Hektar Land zerstört, und das alles für kurzfristigen Profit. Die Rodungen werden vom Militär und der Polizei geschützt und das Holz auf dem internationalen Markt verkauft. Wenn ein Stamm das ihm gehörende Land nicht für Rodungen freigeben will, wird ihm massiv zugesetzt, die Leute werden bedrängt, zusammengeschlagen, mit dem Tode bedroht und am Ende gewaltsam dazu gezwungen, ihre Gärten und Tiere zurückzulassen.
Die indonesische Regierung wird die Bevölkerung von West-Papua niemals respektieren oder mögen. Sie mag nur die Rohstoffe in unserem Land. Also wie lässt sich dieses Problem jemals lösen? Wir brauchen dringend Gespräche, friedliche Gespräche. Und die Weltöffentlichkeit muss an diesen Gesprächen teilnehmen. Die Vereinten Nationen haben uns gegenüber schließlich eine Verantwortung. Warum stellen sie sich dieser Verantwortung nicht?
Sie, Frau Kuegler, haben es der Gnade Gottes zu verdanken, dass Sie sich momentan in unserem Land aufhalten können. Journalisten oder Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen werden von der Regierung nicht im Land geduldet. Vor allem dann, wenn sie sich für diesen Konflikt interessieren und mit Einheimischen über die momentane Lage sprechen möchten.
Was hat die indonesische Regierung zu verbergen? Ich kann Ihnen sagen, wovor sie sich fürchtet: Es gibt Augenzeugen und Dokumente, die alles, was ich Ihnen gerade erzählt habe, hieb- und stichfest beweisen, die davon zeugen, dass bis zum heutigen Tag in diesem Land Menschenrechtsverletzungen begangen werden.«
»Reverend Yoman«, frage ich, »haben Sie denn keine Angst um Ihr Leben?
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