Ruf Des Dschungels
früh beigebracht.
Ich bin in einer altertümlichen Welt aufgewachsen, in einer Welt voller Rätsel. Hier in Europa sehen wir auf diese Welt herab, wir lernen, dass es für alles eine logische Erklärung geben muss. Aber wo bleibt die Logik, wenn der Mensch als einziges Lebewesen seine Umwelt systematisch zerstört, was ist logisch an Kindesmissbrauch, Rassismus oder Menschenrechtsverletzungen?
Das Leben folgt keiner Logik, und auch wenn manche mich verspotten oder für verrückt erklären mögen für die Behauptung, ein Mann sei einfach so verschwunden, so weiß ich doch, was ich gesehen habe. Und ich weiß auch, dass es im Leben viele Rätsel gibt, die man mit Hilfe der Logik allein niemals wird lösen können.
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18 Dunkle Wolken
I ch stand wieder auf dem Hügel. Die Luft roch süß, die Sonne schien, und alles wirkte unglaublich friedlich – zu friedlich. Kein Vogelgezwitscher war zu hören, weder Grillen noch andere Insekten sirrten im umliegenden Grün, und nicht einmal eine sanfte Brise strich über mich hinweg – es war, als wäre die Welt zum Stillstand gekommen.
Alle meine Sinne waren plötzlich hellwach, ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Ich spürte, dass etwas im Anflug war, konnte allerdings nicht sagen, was. Drohte Gefahr? Eine Veränderung? Oder drang etwas Unbekanntes in meine Welt ein? Ich bekam Angst, wusste jedoch nicht, wovor, ich war traurig, ohne sagen zu können, weshalb. Nur eines stand fest: Etwas kam auf mich zu.
Selbst für den frühen Nachmittag war es ungewöhnlich heiß, die Luft fühlte sich an, als wäre sie frei von Sauerstoff. Ich tat es den wilden Tieren gleich, die sich in den Schatten verzogen hatten, und suchte mit einem Buch im Haus Zuflucht. Die Hitze machte mich müde, und bald schlief ich ein.
Irgendwann weckten mich laute Stimmen von draußen. Als aus den Rufen ein wildes Geschrei wurde, sprang ich auf und öffnete die Vordertür. Die Hitze hatte inzwischen nachgelassen, die Sonne ging unter. Eine seltsame Anspannung lag über dem gesamten Dorf, ich konnte die drückende Last förmlich spüren. Lange zurückliegende Erinnerungen kamen mit einem Mal hoch, ein unheimliches Gefühl, das mir in alle Glieder kroch, dasselbe Gefühl, das ich als Kind hatte vor dem Beginn eines Stammeskrieges. Erst der Streit, dann die Schreie, das Tanzen, das Kriegsgeheul und schließlich der endgültige Ausbruch.
Tuare
Ich war verwirrt und machte mich auf die Suche nach Papa. Dann sah ich sie. Mehrere Männer, die sich gegenseitig mit Pfeil und Bogen bedrohten, während die Frauen versuchten, sie zurückzuhalten. Kinder fingen an zu weinen.
Das kann doch gar nicht sein!,
dachte ich. Schließlich war das Kriegsbeil seit Jahren begraben, die Kämpfe und das Morden gehörten der Vergangenheit an.
Da kam Papa auch schon von der Dschungelbrücke herbeigerannt. Er hatte wie so oft einen Abendspaziergang gemacht, als jemand ihn benachrichtigte, dass es Ärger im Dorf gab. Häuptling Kologwoi folgte dicht hinter ihm. Ich stand neben dem Haus und beobachtete ungläubig, was sich da vor meinen Augen abspielte. Tuare hatte sich mit gespanntem Bogen vor Diro aufgebaut, der wiederum auf Tuare zielte. Babu-Bosa und Bebe ragten beide kampfbereit hinter ihrem Bruder auf. Hinter Diro drängten sich mehrere andere Männer mit wutverzerrten Gesichtern.
Geschrei, Rufe, Weinen, die Stimmen zitterten vor Aggressivität, der Hass war körperlich zu spüren, er schraubte sich wie eine Spirale in die Höhe. Bald würde die Lage außer Kontrolle geraten.
Was als Nächstes geschah, ist mir nur bruchstückhaft in Erinnerung. Papa und Häuptling Kologwoi warfen sich zwischen die Männer, Papa hielt die eine Angreifergruppe zurück, der Häuptling die andere. Mehrere ältere Männer und Frauen umschlangen die Krieger von hinten und drückten ihnen die zum Schuss erhobenen Arme nach unten. Alle schrien wild durcheinander, ein nicht zuzuordnendes Stimmengewirr.
Plötzlich riss sich Tuare los, schnappte sich seine Brüder, seine Frau und die Kinder und rannte in Richtung Dschungelbrücke davon. Als er an mir vorbeikam, würdigte er mich keines Blickes, sein Gesicht war düster, der ganze Mann brannte vor Hass. Eine tiefe Verzweiflung überkam mich, als ich beobachtete, wie sich seine jüngste Tochter umdrehte und mich mit großen, traurigen Augen ansah, während ihr Onkel sie weiterzerrte. Ihr jüngerer Bruder schrie verzweifelt, Doriso-Bosa dagegen folgte ihrem Mann stumm und mit gesenktem
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