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Ruf Des Dschungels

Ruf Des Dschungels

Titel: Ruf Des Dschungels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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außerdem auf der Flucht, da sein Leben in Gefahr ist.
    Der zweite Mann, der Anwalt, heißt Thelis und arbeitet für die indonesische Menschenrechtsorganisation Omnas Ham. Er hat einen Bericht über ein Geschehnis geschrieben, das sich in Wasior vor einigen Jahren abgespielt hat.
    Der dritte Mann, der rechts von mir sitzt, ist ein mächtiger Magier, wie ich später erfahren soll, der mit dem geheimen Wissen der Ahnen vertraut ist. Seit Generationen, über mehrere hundert Jahre hinweg, sind diese Geheimnisse immer von Vater zu Sohn weitergegeben worden.
    In meiner Kindheit und Jugend habe ich mich von den magischen Traditionen, die viele alte Stammesvölker bis heute pflegen, immer fern gehalten. Hier in Europa mögen die Menschen auf diese Praktiken herabsehen und sie für lächerlich halten. Doch diese Stämme in West-Papua zählen zu den ältesten Kulturen der Menschheit, es gibt sie seit über 10 000  Jahren. Wie lange existiert dagegen unsere so genannte »moderne Kultur«? Wissen wir denn wirklich alles? Das, was ich am späteren Abend noch erleben werde, hat mit westlicher Logik nichts zu tun. Ist es deshalb unwirklich?
     
    Ich setze mich mit meinem Laptop auf den Boden, die Kerzen um mich herum verströmen ihr gelbes Licht, und ich dokumentiere eine der bekanntesten Menschenrechtsverletzungen in West-Papua. Denn diese Männer sind hier, um mir ihre Geschichte zu erzählen. Sie sind Zeugen eines Ereignisses, das ganz West-Papua erschüttert hat und bei dem Tausende von Menschen entweder verschleppt, verhaftet oder getötet wurden.
    Ich habe während meiner Wahrheitssuche in West-Papua verschiedenste Berichte von verschiedensten Augenzeugen gehört. So gut es mir möglich war, habe ich versucht, die einzelnen Ereignisse mit Hilfe von mehreren Quellen zu belegen und das Glaubwürdige vom Unglaubwürdigen zu trennen. Doch in jener Nacht, in der der Strom ausfällt und in der ich den Häuptling eines Dorfes, einen Magier und einen Anwalt kennen lerne, in jener Nacht weiß ich, dass es richtig ist, genau diese eine Geschichte zu verfolgen. Denn in ihr finden sich alle Elemente, Verwicklungen und Probleme, die diese Insel zerreißen.
    Eine Geschichte, die das »Ereignis von Wasior« genannt wird.
     
    Drei Stunden später ist das Treffen beendet. Mir schwirrt der Kopf von all dem, was ich gerade gehört habe, aber es gibt noch einige Fragen, die mir die drei Männer nicht beantworten konnten. Ich will mehr über Wasior erfahren, und mein Wunsch geht in Erfüllung, als wir einige Tage später direkt zum Ort des Geschehens reisen. Dort sprechen wir mit Menschen, die mir noch mehr Einblick vermitteln können, und treffen weitere wichtige Zeugen. Deren Berichte liefern mir die fehlenden Zwischenstücke, so dass ich mir endlich ein vollständiges Bild von dem machen kann, was passiert ist.
    Die Kerzen sind heruntergebrannt, nach und nach verlöschen die Flammen mit einem letzten Flackern, und die Dunkelheit nimmt mit jeder ersterbenden Flamme zu. Die drei Männer stehen nacheinander auf und verabschieden sich, bedanken sich für unsere Gastfreundschaft. Ich bringe sie noch hinaus, und genau in dem Moment, als der Magier durch die Haustür tritt, geht der Strom wieder an. Als ich mich umdrehe, um einen letzten Blick auf ihn zu werfen, passiert es: Er löst sich in Luft auf, verschwindet direkt vor meinen Augen. Völlig perplex und ungläubig starre ich auf den leeren Fleck vor mir.
    Jon tritt hinter mich und sagt voller Ehrfurcht und Respekt: »Er hat unglaubliche Kräfte, die alten Geheimnisse dieses Landes werden seit zahllosen Generationen an ihn weitergegeben. Seine Ahnen lassen sich über mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen, er gehört der ältesten Magierfamilie an, die wir kennen.«
    In jener Nacht geht mir der geheimnisvolle Magier nicht aus dem Sinn. Zwei Monate später, als ich meine Notizen durchgehe, fällt mir auf, dass der Magier von anderen Zeugen nicht erwähnt wurde. Als ich Jon anrufe, um zu fragen, welche Rolle der Mann in der Geschichte gespielt hat, sagt Jon nur, er vermute, dass er die rechte Hand von Häuptling Noak sei, doch an diese Erklärung glaube ich nicht. Ich vermute, der Magier war aus anderen Gründen da, aus Gründen, die ich bis heute nicht kenne.
    Als ich noch ein Kind war, hieß es immer, ich solle mich von solchen Leuten fern halten, und wenn ich doch mal einem begegne, dürfe ich ihm niemals in die Augen schauen. Die Leute vom Stamm der Dani in Danau Bira hatten mir das schon sehr

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