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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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es Menschen, die im Freien vom Blitz getroffen wurden und überlebt haben. Wahrscheinlich hat die Hitze des Einschlags seine Kleidung in Brand gesetzt und den Leichnam langsam eingeäschert, wie es bei einer Selbstentzündung geschieht, was Dickens sehr eindrucksvoll beschreibt. Nur dass in diesem Fall die Selbstentzündung in einem begrenzten Raum vonstattenging und damit vollkommener war.
    So, meine Damen und Herren, damit bin ich am Ende. Wir werden nie erfahren, was aus Eleanor Wraxford und ihrem Kind wurde. Ich vermute, dass beide in einer unbekannten Senke im Mönchswald liegen.»
    Er verneigte sich, was die Männer mit einem kurzen Applausbeantworteten, in den ich nicht einfiel. Das Feuer war während seiner Rede heruntergebrannt, meine Füße waren taub vor Kälte, die versprochene Enthüllung hatte nichts zutage gebracht. Seine Bewunderung für Magnus war durchweg deutlich gewesen, während er Nell als eine Verrückte abtat, die einen eleganten Plan verdorben hatte. Mir fiel auf, dass Vernon Raphael und Magnus Wraxford eine Menge miteinander gemein hatten.
    Ich hob meinen Blick vom Boden und sah, dass die Männer darauf warteten, dass ich aufstehen würde. Der Gedanke daran, ihrer Diskussion zuzuhören, war mir plötzlich unerträglich. Ich hatte weder Hunger noch Durst; mir war nur fürchterlich kalt.
    «Ich möchte mich zurückziehen», sagte ich zu Edwin. «Ich brauche nichts – außer einer Laterne. Wenn Sie mich entschuldigen, meine Herren   …»
    Ich stand auf; der Raum um mich schien zu schwanken, sodass ich nach Edwins Arm greifen musste. Begleitet von besorgtem Gemurmel, gingen wir langsam die Galerie in ihrer ganzen Länge entlang und traten in die noch größere Kälte des Treppenhauses hinaus, wo Edwin sofort begann, sich für die Ereignisse dieses Abends zu entschuldigen.
    «Ich wollte selbst hierherkommen», entgegnete ich. «Reden wir nicht mehr davon.» Ich spürte seine Sehnsucht nach einem Blick, einem Lächeln, einer Geste der Vertrautheit, aber ich sah mich nicht in der Lage, dem nachzukommen.
     
    ∗∗∗
     
    Jemand hatte das Feuer in meinem Zimmer angefacht, und sobald ich die Tür hinter Edwin verriegelt hatte, zündete ich die zwei verstaubten Kerzen auf dem Kaminsims an, zog das Feldbett so nahe wie möglich ans Feuer und legte mich, die Laterne auf dem Stuhl neben mir, vollkommen bekleidet schlafen. Der Geruch nach Öl und heißem Metall wirkte beruhigend,wie auch das Wissen, dass Edwin im Nebenzimmer schlafen würde, zwischen mir und dem Treppenabsatz.
    Die Wärme kehrte in meine Glieder zurück und mit ihr das Bewusstsein, dass mich – ganz abgesehen von Vernon Raphaels selbstsicherem Ton – die Angst, er könne bezüglich Nell recht haben, so entmutigt hatte. Er hatte ja immerhin aus allen Informationen, die ich ihm zur Verfügung gestellt hatte, den Schluss gezogen, dass Magnus einen Mord begangen hatte – oder zumindest hatte begehen wollen – an seinem Onkel. Ich hatte nie an diese Möglichkeit gedacht; aber es ergab alles Sinn. Seine Lösung für das Rätsel allerdings war, von wenigen Punkten abgesehen, nichts als ein Echo auf die Ergebnisse des Coroners.
    Aber wenn ich ihm die übrigen Aufzeichnungen gezeigt hätte, sie hätten nur seine Überzeugung bestärkt, dass Nell schuldig war.
    Und doch gab es
etwas
in dem, was er gesagt hatte – etwas, das eine Saite in mir zum Klingen gebracht hatte, auch wenn es meine eigene Erklärung zunichtemachte   … Ja, warum hätte Nell, wenn sie willens gewesen wäre, das Kind einem Komplizen zu übergeben, Clara überhaupt hierherbringen sollen?
    Und warum hatte sie von all diesen Zimmern, unter denen sie hatte wählen können, Clara ausgerechnet in der dunklen Abstellkammer untergebracht?
    Weil niemand, wenn die Tür geschlossen war, hätte sagen können, ob sich ein Kind darinnen befand oder nicht.
    Ich nahm Nells Tagebuch und John Montagues Aufzeichnung der gerichtlichen Untersuchung zur Hand und überflog im Schein der Laterne die Seiten.
    Niemand sonst hatte je behauptet, Clara auf Wraxford gesehen zu haben.
    Ich blätterte zur ersten Seite des Tagebuchs zurück, des Tagebuchs, von dem Nell schrieb, sie habe es in London nicht zu beginnen gewagt, aus Angst, Magnus könne es finden. Und das sie offen auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen.
    Sie hatte
gewollt,
dass er es findet. Das Tagebuch war eine Fiktion, und nichts davon war glaubwürdig.
    Nein, nicht ganz. Alles über das Scheitern ihrer Ehe, ihr Hass gegen ihn,

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