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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Séancen mehr. Ich versuchte, meine Mutter zu überreden, ein Glas Wein zum Abendessen zu trinken, aber sie wies es zurück. «Ich bin vollkommen glücklich, Constance, und überhaupt nicht hungrig. Ich gehe jetzt ins Bett und werde von Alma träumen.» Damit küsste sie mich und ging nach oben, während ich nach unten in die Küche ging, um mit Lettie und Mrs   Greaves zu Abend zu essen und ihnen so viel zu erzählen, wie ich zu erzählen wagte. Später ging ich in mein Zimmer, wo ich so tief und friedlich wie lange nicht schlief und erst mit der herbstlichen Morgensonne aufwachte, die in mein Fenster schien. Mama kam nicht zum Frühstück nach unten, aber das war recht normal. Lettie brachte ihr gewöhnlich gegen zehn Uhr ein Tablett nach oben, klopfte leicht an die Tür und ließ meine Mutter es sich holen, wann immer sie wollte. Erst gegen elf Uhr wurde ich unruhig. Schließlich beschlossen wir, die Tür mit einem Schürhaken aufzubrechen. Wir fanden meine Mutter zugedeckt im Bett, mit Almas Taufkleid an die Brust gedrückt und einem sanften Lächeln auf dem Gesicht. Auf dem Nachttisch stand eine leere Flasche Laudanum, und daneben lag die Nachricht: «Vergib mir – ich konnte nicht warten.»
     
    ∗∗∗
     
    Die folgenden Tage verschwimmen glücklicherweise in meiner Erinnerung. Eher, als dass ich mich daran erinnere, habe ich ein Bild vor Augen von schwerer Dunkelheit, die meinen Körper anfüllt, als wäre Mamas Qual auf mich übergegangen. Ich erinnere mich auch daran, dass ich überzeugt davon war, nie wieder zu essen oder zu schlafen, immer würde ich auf meinem Bett liegen und mit trockenen Augen in die Dunkelheitstarren. Ich fragte mich, was aus mir werden würde und ob ich, wenn ich zur Polizei ginge und gestünde, was ich getan hatte, dafür ins Gefängnis käme. Aber ich sagte nichts über die Séancen zu Doktor Warburton, auch nicht zu meinem Vater, der sich höchst irritiert zeigte (es wäre höchst rücksichtslos von Mama, so verkündete er, sich zu vergiften, ausgerechnet wenn er mit seinem zweiten Band anfangen wollte) und mir mitteilte, er würde das Haus nicht weiter mieten.
    Wir saßen, wie bei jedem unserer Gespräche, am Frühstückstisch. Er schien nicht zu bemerken, dass ich nichts gegessen hatte.
    «Das ist ganz und gar keine glückliche Lösung, aber du wirst wohl bei uns in Cambridge leben müssen. Meine Schwester wird Arbeit für dich im Haus finden, und ansonsten musst du versuchen, dich still zu verhalten und keine weiteren Umstände zu machen.»
    «Aber was wird aus Lettie und Mrs   Greaves?»
    «Die müssen sich natürlich nach etwas Neuem umsehen.»
    «Aber Papa   –»
    «Unterbrich mich bitte nicht. Sie werden für einen weiteren Monat ihren üblichen Lohn erhalten, was mehr als großzügig ist. Und du kannst ihnen Empfehlungen schreiben, wenn es dir beliebt. So, und nun habe ich eine Unmenge zu erledigen, dank deiner Mutter – aufgrund dieses unglückseligen Ereignisses – nein, kein weiteres Wort. Ich werde erst spät wieder zu Hause sein.»
    Zu meinem Erstaunen nahmen Lettie und Mrs   Greaves die Nachricht gelassen auf. «Wir finden schon was, meine Liebe», sagte Mrs   Greaves. «Ich weiß, du wirst uns weiterempfehlen. Aber für dich wird es kein gutes Leben in Cambridge.» In der Tat schien es mir wir ein Gang ins Gefängnis, aber mir stand der Sinn nicht nach Protest. Ich rang mir einen Brief an Mrs   Veasey ab, dass Mama gestorben sei und dass es mir nicht möglich sein würde, sie oder jemanden aus dem Kreis wiederzusehen.Und während ich nach Worten suchte, fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr Kreis und der von Miss Carver sich überschnitten. Mama wurde an einem tristen Oktobermorgen beigesetzt, nur in Anwesenheit von meinem Vater, Mrs   Greaves, Lettie und mir.
    Etwa eine Woche nach der Beerdigung ordnete ich die Habseligkeiten meiner Mutter. Gerade als ich mich fragte, was ich mit Almas Sachen tun solle, kam Lettie nach oben und sagte, ein Gentleman frage, ob er mich sehen könne. Mein Vater war wie immer nicht zu Hause. Er behauptete, sich die Füße wund zu laufen wegen des Hauses, aber ich vermute, er verbrachte die meiste Zeit im Museum. Ich ging wie benommen nach unten, erwartete jemanden, der wegen Büchern oder Möbeln gekommen war. Stattdessen stand da ein kleiner, stämmiger Mann, der mir vage bekannt vorkam, obwohl ich nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob ich ihn je zuvor gesehen hatte. Er trug eine grüne Jacke aus

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