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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Suggestionen gerichtet, was ihnen die Kraft nähme. Schau-Hypnotiseure machen ihre Darstellungen natürlich vor einem Publikum, aber wenn man es für einen ernsten Zweck tut   …»
    «Ich verstehe», sagte ich. «So werde ich mich so weit wie möglich sammeln.»
    «Viel eher müssen Sie versuchen, Ihre Gedanken loszulassen, als wären Sie müde und wollten schlafen. Sie brauchen nur zuzuhören und zu schauen.»
    Auf seine Anweisung hin nahm ich in einem Sessel Platz, die Arme auf die Lehnen gelegt und den Kopf von einem Kissen gestützt. Er stellte einen Beistelltisch vor mich, einen Stuhl auf die andere Seite, mir genau gegenüber. Dann nahm er eine einzelne Kerze vom Kaminsims, entzündete sie und stellte sie in die Mitte des Tisches zwischen uns. Nachdem er die Vorhänge zugezogen hatte, setzte er sich. Geblendet von der Kerzenflamme, konnte ich nichts außerhalb des Lichtkreises, in dem wir saßen, sehen. Doktor Wraxfords Gesicht mir gegenüber schien in der Dunkelheit frei zu schweben. Das Licht betonte seine Wangenknochen und Augenhöhlen; seine Pupillen waren schwarz wie ein polierter Jett-Stein und spiegelten die Kerzenflamme zweifach.
    Etwas blitzte auf, glitzerte und begann, sich um die Flamme zwischen uns zu bewegen. Es sah aus wie eine Goldmünze, hatte etwa die Größe eines Shillings, auf beide Seiten war einmerkwürdiges geometrisches Muster geprägt, das ich nicht identifizieren konnte. Trug er diese Münze auf allen Wegen bei sich? Seine Stimme gab mir die Anweisung, der Bewegung der Münze zu folgen. Rundherum und herum, herum und herum   … Sie werden schläfrig, sang die Stimme   … Rundherum und herum   … Ihre Lider werden schwer   … Aber ein Teil meiner Seele blieb aufmerksam und wollte sich nicht ergeben. Ich versuchte, die Augen zu schließen, aber sie öffneten sich von selbst wieder, die Anspannung wollte nicht weichen. Es war, als hörte ich eine Alarmglocke, die in Abstimmung mit dem Glitzern der Münze ertönte.
    «Es tut mir leid», sagte ich schließlich. «Ich kann es nicht.»
    «Das sehe ich», sagte das kopflose Gesicht mir gegenüber. «Vertrauen lässt sich nicht befehlen. Aber ohne es kann ich Ihnen nicht helfen.»
    Er erhob sich, öffnete die Vorhänge und stellte die Dinge wieder an ihren Platz.
    «Vielleicht waren wir zu schnell. Wenn Sie es noch einmal versuchen möchten, werde ich morgen zur selben Zeit wiederkommen   –»
    «Ich danke Ihnen, Sir», sagte ich. «Aber ich darf Ihre Großzügigkeit nicht weiter ausnutzen. Nein, Sir, ich bitte Sie – es wäre mir äußerst peinlich, wenn Sie meinetwegen ein weiteres Mal hierherkämen. Und nun, möchten Sie zum Tee bei uns bleiben? Ada lädt Sie sehr herzlich ein.»
    «Ich danke Ihnen, Miss Unwin, aber ich muss weiter. Auf dem Weg hierher dachte ich, ich könnte über Wraxford Hall zurückkehren. Und so freue ich mich darauf, Sie irgendwann wiederzusehen, und natürlich Mr   Ravenscroft, wenn er von Cumbria zurück sein wird.»
    Damit ging er. Ich wünschte sehnlichst, ich hätte nie ein Wort über meine Visitationen verloren.
     
    ∗∗∗
     
    Edward kam eine Woche später zurück, und die Befürchtung, dass die Erscheinung zwischen uns treten könne, war mit dem Glück über die erste Umarmung hinweggefegt. Hinzu kam die Neuigkeit, dass er eines seiner Bilder für dreißig Guineen verkauft hatte, der höchste Preis, den er bislang erzielt hatte. Noch so ein Erfolg, und wir würden heiraten können, sobald Sophie sicher vermählt war.
    Ich hatte gehofft, dass Doktor Wraxford mittlerweile nach London zurückgekehrt wäre. Aber am nächsten Tag erhielten wir eine Einladung von John Montague zu einem Mittagessen in seinem Haus in der kommenden Woche. Magnus Wraxford wollte Edward unbedingt kennenlernen und würde extra aus London anreisen. George und Ada hatten bereits eine Verabredung für diesen Tag. Edward lag natürlich viel daran, die Einladung wahrzunehmen. So musste ich ihm erzählen, dass Doktor Wraxford versucht hatte, meine Kopfschmerzen zu heilen, ich musste alle seine Fragen über Hypnose beantworten und beharrte darauf, dass es nur meinetwegen nicht funktioniert hatte. Am Tag des Essens gab ich im letzten Moment vor, krank zu sein, und verbrachte einen langen und elenden Tag, bis Edward in der Abenddämmerung in höchster Aufregung zurückkehrte.
    «Dann war der Lunch ein Erfolg?», fragte ich. Wir saßen im «Hof», unter einer Buche, die die ersten Blätter verlor, an einem Abend, der ein perfekter

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