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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Spätsommerabend hätte sein können.
    «Nicht der Lunch, der war eher durchwachsen. Wraxford und ich mochten einander sofort – er ist ein bemerkenswerter Mann, wie du sagtest   –, aber John Montague scheint mich nicht zu mögen. Ich verstehe das nicht – ich habe sein Bild von Wraxford Hall sehr gelobt, aber er wollte nicht auftauen. Sie bedauerten sehr, dass du nicht dabei sein konntest, vor allem Doktor Wraxford. Du hast die Herzen der beiden regelrecht erobert, weißt du das? Doktor Wraxford und ich machten nachdem Essen einen langen Spaziergang, aber Montague lehnte ab, uns zu begleiten, und ich bin mir sicher, meinetwegen.
    Nein, das Großartige ist, dass mir beim Anblick von Montagues Gemälde die Idee einer Serie von Studien von Wraxford Hall kam – ein wunderbar düsteres Objekt – in abendlichem und morgendlichem Zwielicht. Der Höhepunkt soll das Herrenhaus bei einem Gewitter sein, erleuchtet von einem hellen Blitz. Magnus Wraxford erzählte mir alles vom Verschwinden seines Onkels. Das hat mich sehr beeindruckt   … Das Anwesen befindet sich offenbar immer noch in einer Art rechtlichem Schwebezustand, aber es wird mit Sicherheit in seinen Besitz gehen. Wie auch immer, ich habe es mit ihm abgesprochen, und er hat nicht das Geringste dagegen einzuwenden; er wird es auch mit Montague abklären. Ich fragte ihn, ob er wisse, was Montague gegen mich habe, aber er wollte nichts sagen. Ich solle es mir nicht zu Herzen nehmen   … Du siehst besorgt aus, Liebling, ist etwas geschehen?»
    «Nein, nur   … dass Wraxford Hall ein Unglücksort ist; und dass es so weit weg ist.»
    «Oh, ich werde nicht ständig hin- und hertrotten, sondern die Studien in einem Schwung durchführen – in einem der alten Ställe schlafen oder so. Wraxford hat mir alles beschrieben. Ich hoffe nur, dass wir wenigstens ein ordentliches Gewitter bekommen, ehe die Nächte zu kalt werden. Du darfst dich nicht sorgen, Liebste, ich bin rauen Schlaf gewohnt, und ich
weiß,
ich kann es spüren, dass mich diese Bilder bekannt machen und uns in kürzester Zeit vor den Altar bringen werden.»
     
    ∗∗∗
     
    Edward verbrachte eine ganze Woche – die längste meines Lebens, dachte ich damals – zum Malen auf Wraxford. Ada war über meine Aufregung besorgt und schlug mehrfach vor, zum Mönchswald zu gehen. Aber ich wusste, dass Edward es hasste,während der Arbeit beobachtet zu werden. Irgendwie wäre es gewesen, als gäbe man dem Aberglauben nach, und außerdem befürchtete ich, Edward könne mich für ein dummes, hysterisches Mädchen halten. Und obwohl ich es nicht zugeben wollte, nicht einmal vor mir selbst, fürchtete ich, Magnus Wraxford zu begegnen. Es war mir zuwider, dass er mehr von mir wusste als Edward; dieser Gedanke ließ mich nicht los, und es war, als hätten wir eine schuldhafte Liaison. Und doch konnte ich mich nicht dazu entschließen, Edward – und noch nicht einmal Ada – von der Erscheinung zu erzählen.
    Und hätte meine Erzählung überhaupt einen Unterschied gemacht? Er hätte mich «mein Liebling» genannt, hätte von meiner allzu lebhaften Vorstellungskraft gesprochen, mich mit Küssen getröstet und wäre fröhlich nach Wraxford Hall gefahren – von wo er in bester Stimmung, mit einer großen Rolle Skizzen unter dem Arm, zurückkehrte und sich in seinem Atelier an die Arbeit setzte. Das Wetter blieb gut, wurde im Laufe des Septembers eher wärmer, die Laubhaufen unter den Bäumen wuchsen, und mein ungutes Gefühl schwand langsam dahin, bis Edward eines Abends verkündete, dass er das erste Gemälde beendet habe.
    Die Fledermäuse, die einen schiefen Turm bei Einbruch der Dunkelheit umflogen, waren bei weitem keine Überraschung. Dazu hatte ich genug von Wraxford Hall gehört. Der Himmel über den Baumwipfeln war allerdings hell, beinahe wolkenlos blau und durchzogen von feinen Linien und Wirbeln cremefarbenen Dunstes. Das Sonnenlicht hob die Dunkelheit des ausgreifenden Waldes hervor und vertiefte die Schatten in den Fensterrahmen. Und irgendwie – obwohl ich das Original ja nicht gesehen hatte – schienen die Proportionen des Gebäudes ein wenig aus der Bahn geraten zu sein, als würde ich es durch Wasser hindurch betrachten.
    «Es gefällt mir selbst sehr gut», sagte Edward, nachdem wir ihm alle gratuliert hatten. «Und ich hoffe, es wird auch MagnusWraxford gefallen. Er ist wieder in Aldeburgh – habe ich das schon erwähnt? Gestern erhielt ich die Nachricht von ihm, dass er mindestens noch eine

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