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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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sein bemerkenswertes Talent erkannt, das die Welt   … verzeihen Sie. Das Letzte, was ich tun möchte, ist, Sie noch mehr zu betrüben. Ich fürchte, ich bin mit verantwortlich; so oft wünschte ich schon, ich hätte ihn nicht dazu ermuntert, das Anwesen zu malen.»
    «Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen, Sir», sagte ich, während mir durch den Kopf ging, wie geistreich er war im Gegensatz zu Mr   Montague. «Selbst wenn Sie es ihm verboten hätten, Edward hätte irgendwie seinen Weg dorthin gefunden. Es ist bestimmt nicht Ihre Schuld.»
    «Das ist sehr freundlich von Ihnen, Miss Unwin.»
    Eine Weile sahen wir schweigend auf Edwards Grabstein, der die Inschrift trug «Gegangen in die Welt des Lichts».
    «Am schlimmsten ist», sagte ich und wendete mich zu ihm um, «zu wissen, dass er in mir seinen Tod getroffen hat – die Visitation, meine ich. Ich habe ihm nie davon erzählt.»
    «Meinen Sie denn, es hätte einen Unterschied gemacht, wenn Sie es getan hätten?», fragte er, wie schon Ada mich gefragt hatte.
    «Vielleicht nicht – aber es hätte einen Unterschied machen können. Sie sagten selbst, dass, wenn ein junger Mann sterben würde, auf den meine Beschreibung passte, bewiesen wäre, dass ich hellsehen kann   –»
    «Es würde diesen Rückschluss nahelegen, nicht beweisen, Miss Unwin. Aber ja, ich denke, Sie sind stark genug, um der Tatsache ins Auge zu sehen, dass Sie es vermutlich können.»
    «Nein», sagte ich voller Leidenschaft. «Das ist mir
nicht
möglich – so stark zu sein, meine ich. Wie kann ich nach alldem mit jemandem zusammenleben, der mir etwas bedeutet, ganz zu schweigen von Liebe? Es ist etwas Böses, etwas Niederträchtiges, ein bösartiges Leiden. Ich würde meine Hand abhacken, um davon befreit zu werden   –» Damit brach ich in Tränen aus.
    Wenn er versucht hätte, mich zu trösten, wäre ich vermutlich zurückgewichen, aber er tat es nicht. Er stand still neben mir, bewegte sich nicht, und wartete geduldig, bis ich mich beruhigt hatte.
    «Miss Unwin», sagte er schließlich. «Wenn Sie mir einen weiteren Versuch, Sie zu hypnotisieren, erlauben würden, könnte das – so hoffe ich – ein erneutes Auftreten Ihres Leidens verhindern. Es würde mich sehr ehren. Ich bin zufällig im Ship untergekommen – die Sache mit dem Anwesen, wissen Sie – und habe derzeit keine dringenden Verpflichtungen in London. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.»
    Seine Großzügigkeit gegenüber Edward kam mir in den Sinn, meine Undankbarkeit, als ich mich an dem Nachmittag vor ihm versteckt hatte, und nach kurzem Überlegen nahm ichsein Angebot an. Er würde am nächsten Tag vorbeikommen. Er verbeugte sich, ging fort und ließ mich mit den Fragen zurück, ob auch er Edwards Grab hatte besuchen wollen und warum er in Chalford Quartier genommen hatte, wo doch sein Anwalt – nun vermutlich Mr   Montagues Partner – in Aldeburgh, zehn Meilen entfernt, war.
     
    ∗∗∗
     
    Um zwei Uhr nachmittags wurde Magnus Wraxford am nächsten Tag abermals in das kleine Zimmer im vorderen Teil des Hauses geführt. Es war ein düsterer Tag, und es wehte ein rauer Wind. Ich hatte schlecht geschlafen und lief den ganzen Vormittag unruhig im Haus umher in dem Versuch, mich innerlich auf seine Ankunft vorzubereiten. In dem Wissen, dass Ada, die genau wusste, warum er gekommen war, nebenan ein Buch las, war ich bereit, sofort zu beginnen. Aber als er die Vorhänge zuzog, setzte wieder meine dunkle Vorahnung ein. Ich versuchte, mich auf die schimmernde Münze zu konzentrieren, auf das Einsetzen der Schläfrigkeit, fiel aber der Illusion zum Opfer, Magnus Wraxford habe sich in ein körperloses Gesicht verwandelt, dessen Augen die Kerzenflammen waren, und eine abgetrennte Hand, die über dem Tisch schwebte. Ich versuchte, mir Adas Hand in meiner vorzustellen, aber das Wissen, dass sie jenseits der Wand im anderen Zimmer saß, machte das unmöglich. Ich konnte meine Augen nicht schließen. Ich merkte, wie ich eher auf einen eigenartigen, vibrierenden Ton in der Stimme von Magnus Wraxford reagierte als auf seinen Singsang von Worten. Ein kalter Luftzug streifte meine Wange. Die Kerze flackerte und erlosch beinahe, sodass die körperlosen Züge mir gegenüber zu beben und sich zu verzerren schienen, die Augen schienen für einen Moment zu lodern.
    Ich muss das abbrechen,
dachte ich. Aber dann hörte ich Edward, wie er sagte: «Was für außergewöhnliche Augen dieserMann hat – wäre ich Porträtmaler, würde ich

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