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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Vergangene entsetzlich düster – aber es war ein Wachtraum, der nichts mit Edward zu tun hatte. Edward starb an seiner Furchtlosigkeit, einer Furchtlosigkeit, die an Leichtsinn grenzte – er hätte über deine Vision gelacht. Du weißt es   …»
    «Ja», sagte ich, untröstlich. «Aber ich habe die Erscheinung gesehen, und er starb. Worte können daran nichts ändern.»
     
    Ich begann langsam wieder, die Welt um mich herum wahrzunehmen. Sie schien – außer für Ada und George – bar jeder Hoffnung und jeden Lichts. Als John Montague einige Tage später vorbeikam, dachte ich, ich könne ihn ebenso gut treffen. Ada geleitete ihn ins Wohnzimmer; mir fiel auf, dass er Trauer trug, und so fragte ich ohne großes Interesse, ob er jemand Nahestehenden verloren hätte. Sein Kinn kam mir länger und schmaler vor, die Linien um seinen Mund stärker, und seine Augen schienen tiefer zu liegen, als ich es in Erinnerung hatte.
    «Nein», sagte er unsicher. «Ich – für mich ist es ein Zeichen des Respekts.»
    «Sehr liebenswürdig, Sir. Umso mehr, als Sie ihn nicht mochten», sagte ich mit einiger Schärfe.
    «Hat er Ihnen das gesagt?» Er war offenbar noch nicht einmal in der Lage, Edwards Namen auszusprechen.
    «Ja.»
    «Es tut mir sehr leid, dass ich ihm diesen Eindruck vermittelte   … Miss Unwin, ich wollte Ihnen sagen, dass, wenn es irgendetwas geben sollte, das ich für Sie tun kann – bitte, lassen Sie es mich unbedingt wissen.» Seine Stimme klang plötzlich sehr bewegt.
    «Ich danke Ihnen, Sir. Aber es gibt nichts.»
    «Und – werden Sie in Chalford bleiben, Miss Unwin?»
    «Ich weiß es nicht.» Darauf folgte Stille, und wenig später erhob er sich und ging. George teilte uns einige Wochen später mit, dass er ins Ausland gereist sei.
    Aber die Frage, was ich
tun
würde, stand im Raum. Die Unterhaltszahlung war mit Sophies Hochzeit eingestellt worden. Ich hatte kein eigenes Geld, und ich konnte nicht endlos Georges und Adas Freigiebigkeit annehmen, gleichgültig, wie warmherzig sie darauf bestanden, dass ich bliebe. Ich war mehr oder minder entschlossen, mir eine Anstellung als Kindermädchen in Aldeburgh zu suchen, wo ich wenigstens in ihrer Nähe wäre. Da erhielt George über einen Cousin in Nordengland die Zusage für eine Anstellung in einer kleinen Gemeinde in Yorkshire; er sollte die Stelle in einigen Monaten antreten. Das hatte rein gar nichts mit meiner Mutter zu tun, versicherte mir Ada – obwohl sie zugab, dass das Einkommen geringer sein würde; aber der eigentliche Amtsinhaber von St Mary’s sei genesen und könne seine Arbeit wieder aufnehmen. Es stünde natürlich außer Frage, dass ich mit ihnen käme, vor allem so kurz nach Edwards Tod.
    Sie hätten mich vermutlich überreden können, wäre da nicht diese Angst gewesen: Mehr als alles andere fürchtete ich eine Erscheinung mit Georges oder Adas Gesicht. Da konnte George sehr klug davon sprechen, dass solche Ängste nach einem so schwerwiegenden Verlust nicht verwunderlich wären. Er hatte den Visitanten auf dem Sofa ja nicht gesehen. Und wenn ich ein Kindermädchen würde und die Kinder, die mir anvertraut waren, zu lieben begänne   … Hätte ich da nicht die Pflicht, meine Arbeitgeber zu warnen? – Und wer würde mich beschäftigen, wenn ich es täte?
     
    ∗∗∗
     
    Eines Morgens im Januar ging ich alleine auf den Friedhof von St Mary’s. Der Geruch von Verfall lag in der Luft, wohl von dem herabgefallenen Laub; zwischen den Grabsteinen hingen hie und da Nebelschleier. Edwards Grab sah nicht mehr frisch gegraben aus, aber mein Schmerz um den Verlust hatte sich nicht verloren. Ich hatte dort einige Zeit gestanden und mich meiner Melancholie hingegeben, als ich hinter mir Schritte auf dem Kiesweg hörte und – als ich mich umdrehte – Magnus Wraxford auf mich zukommen sah.
    «Miss Unwin, verzeihen Sie, dass ich Sie störe.»
    «Im Gegenteil, es freut mich, Sie zu sehen», sagte ich. Anstelle seiner Reitkleidung trug er nun einen schwarzen Anzug und eine weiße Halsbinde. «Es tut mir leid, dass ich mich zu unwohl fühlte, um Sie zu treffen – bei Ihren früheren Besuchen.»
    «Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich wollte Ihnen nur mein tiefstes Beileid aussprechen. Mr   Ravenscrofts Tod lastet schwer auf meinem Gewissen.»
    «Sie waren ausgesprochen wohlwollend, Sir. Es war Ihrer Großzügigkeit zu verdanken, dass wir hätten heiraten können, wenn nicht   …»
    «Keine Großzügigkeit, Miss Unwin. Ich hatte nur

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