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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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ihn unbedingt malen wollen.» Oft gelang es mir nicht, mir Edwards Gesicht in Erinnerung zu rufen, da waren dann nur Konturen. Oder er erschien von selbst und dann so lebendig vor meinem inneren Auge, als stünde er neben mir. Und das geschah auch jetzt: Ich sah sein Gesicht wieder, erhellt von Freude und Hoffnung; doch ich spürte nun keine Trauer. Ich konnte seine Gegenwart neben mir spüren, hier, jetzt, in diesem dunklen Zimmer. Die glitzernde Münze nahm ich noch vage wahr, ebenso Magnus Wraxfords schwebende Züge dahinter, aber Edward rief mich in das klare Licht des Tages. Er sagte Worte, von denen ich wusste, dass sie sehr tröstlich waren, und ich spitzte die Ohren, um sie zu hören, konnte sie aber nicht ganz verstehen. Ich spürte seine Gegenwart, bis ich mich – ohne dass ich den Übergang bemerkt hätte – in grauem Zwielicht wiederfand. Der Geruch der gelöschten Kerze stieg mir in die Nase, und ich erblickte Magnus Wraxford, der auf mich herabsah. Durch die aufgezogenen Vorhänge sah ich den Nebel draußen.
    «Es tut mir leid», sagte ich. «Ich habe es versucht   …»
    «In der Tat, Miss Unwin, aber   … ehrlich gesagt habe ich so etwas noch nie gesehen. Sie schienen in tiefe Trance zu fallen, aber dann reagierten Sie auf keine einzige meiner Suggestionen. Sie schienen sie noch nicht einmal zu hören.»
    «Leider nicht», sagte ich. «Ich träumte – ich glaube zumindest, dass es ein Traum war – von Edward. Er redete, aber ich konnte nicht hören, was er sagte.»
    «Ich verstehe.» Die Spur von Frustration in seinem Ton konnte ich ihm schwerlich verdenken. Misserfolge war er offensichtlich nicht gewohnt. «Vielleicht sind Sie wirklich eingeschlafen, obwohl es nicht den Anschein hatte.»
    «Es tut mir wirklich sehr leid, Sir», wiederholte ich, «dass ich Ihre Zeit so sinnlos in Anspruch nehme.»
    «Keineswegs», sagte er und hatte seine Enttäuschung offensichtlichmit einem schiefen Lächeln überwunden. «Ich bin nur über meine Inkompetenz bestürzt. Wollen wir es morgen noch einmal versuchen?»
    «Sir, ich kann unmöglich   –» Er winkte ab. Die Einladung zum Tee wies er zurück und war verschwunden, ehe mir einfiel, dass ich ihn hatte fragen sollen, ob er mit uns zu Abend essen wolle.
    Am Abend sprach ich mit Ada und George darüber.
    «Ich bin mir sicher», sagte ich, «dass ich ohne weiteres in Trance fiele, wenn Ada neben mir sitzen dürfte. Aber er hat gesagt, dass das meiner Konzentration im Wege stehen würde.»
    «Ich verstehe», sagte George. «Ich hätte nicht gedacht, dass die Anwesenheit eines Dritten ein Hindernis wäre. Aber ich habe natürlich keine Ahnung von Hypnose. Hand aufs Herz, fürchtest du, er könnte dein Vertrauen missbrauchen?»
    «Vielleicht, wobei es mir selbst nicht ganz klar ist. Ich weiß nicht, was mich beunruhigt.»
    «Ich nehme an», sagte Ada zögernd, «dass er, wenn seine Absichten nicht ehrenhaft wären, darauf bestehen würde, dass ihr euch anderswo trefft. Er würde viel riskieren, hier   –»
    «Ja, das stimmt», sagte ich.
    «Vielleicht sind es seine Augen», sagte George. «Die Art, wie sie das Licht fangen. Ich bin mir sicher, dass sie ihn zu einem guten Hypnotiseur machen, aber sie sind ein wenig irritierend.»
    «Das muss es wohl sein», sagte ich und beschloss, meinen Nerven nicht mehr zu gestatten, Magnus weitere Unannehmlichkeiten zu bereiten.
    Aber meine Anspannung kam dennoch zurück, als Magnus Wraxford das Zimmer verdunkelte und abermals einen abgetrennten Kopf und eine schwebende Hand über der Kerzenflamme zum Erscheinen brachte.
Du darfst keine Angst vor ihm haben,
sagte ich mir streng. Ich stellte fest, dass ich mich besser auf die glitzernde Münze konzentrieren konnte, wenn ichmeine Augen ein wenig schloss und wenn ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete, tief und regelmäßig zu atmen. Dann nahm ich den störenden Unterton in seiner Stimme weniger wahr, und mir schien, als redete ich mir selbst zu, mich zu entspannen, und ich wurde schläfriger und schläfriger und schlief, tiefer und tiefer, bis ich im Tageslicht erwachte und die dünne Spirale vom Rauch der gelöschten Kerze dahinschwinden sah. Ich erinnerte mich an nichts außer an meine Worte:
Du darfst keine Angst vor ihm haben
.
    Einen Moment dachte ich, es sei wieder nicht geglückt, aber dann sah ich, wie er mich anlächelte. Er wirkte leicht verändert, wie er sich gab, sogar wie er aussah.
    «Sehr gut, Miss Unwin. Sie waren die letzten zwanzig Minuten in einer

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