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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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–, Magnus zu verärgern. Es
könnte
Doktor Rhys sein – aber der würde sich sicherlich an Mrs   Bryant wenden, nicht an mich.
     
    Oder kann sich jemand im Haus versteckt haben? Die Schritte, die ich letzte Nacht hörte   … Aber wer, und wo?
     
    Oder es ist eine Falle.
     
    Aber wenn mir jemand wirklich helfen wollen sollte   … Ich könnte etwas früher hingehen und mich dort irgendwo verstecken – aber dann gäbe es keine Möglichkeit zur Flucht. Nein, ich werde zur Bibliothek gehen, eine der Türen einen Spalt weit öffnen und von dort aus schauen. Der Mond ist aufgegangen. Ich werde kein Licht brauchen. Und wenn ich gefasst werde, dann kann ich behaupten, ich wollte mir etwas zu lesen holen.
     
    Ich muss es versuchen.
     
    ∗∗∗
     

Fünfter Teil
John Montagues Erzählung
    Wären Magnus und ich an jenem Morgen in Aldeburgh nicht George Woodward begegnet, hätte ich Eleanor Unwin vermutlich nie getroffen, noch hätte Magnus sie kennengelernt, und sie wäre nun wohl glücklich mit Edward Ravenscroft verheiratet. Mit Sicherheit hätte ich sie nie so gesehen wie an jenem ersten Abend im Pfarrhaus: ein Mädchen in einem einfachen weißen Gewand, das dichte dunkelbraune Haar hochgesteckt, in der Abendsonne – bei diesem Anblick sah ich mich nach Orchard House zurückversetzt, als ich an einem Sommerabend das erste Mal Phoebe erblickte, die neben ihrer Mutter stand.
    Es ist natürlich unmöglich, aber ich könnte schwören, für mehrere Minuten bewegungslos dagestanden zu haben, gefangen in einer Art doppelter Vision, wobei ich vage wusste, wo ich mich befand und zugleich nur einmal durch das Zimmer zu gehen brauchte, um mein Leben mit Phoebe wieder aufzunehmen. Die Vision entschwand, als Magnus und ich näher traten und ich sah, dass Eleanor Unwin deutlich größer als Phoebe war, dass sie schmaler im Gesicht war mit höheren Wangenknochen und dass das Braun ihres Haares einen dunkleren Ton hatte. Als ihre Finger die meinen berührten, durchzuckte mich ein kleiner, scharfer Stich, wie wenn man barfuß über ein Stoppelfeld geht und beim ersten Aufsetzen den Fuß sofort wieder zurückzieht. Sie schien das nicht zu bemerken. Ich realisierte, dass ich sie anstarrte, als sähe ich einen Geist, und dann hörte ich sie sagen, dass sie verlobt war.
    Es ist wahr, ich beneidete Edward Ravenscroft. Damals sagte ich mir selbst, er sei ein Geck, seine Arbeit sei oberflächlich und er könne diese Frau unmöglich verdient haben. Ich sah Nell – so dachte ich immer an sie, nachdem ich bemerkt hatte, dass alle, die ihr nahestanden, sie so nannten – nur noch einmal, ehe sie Magnus heiratete. Es war ein kurzes, schmerzhaftes Gespräch, in dem ihre Abneigung gegen mich nicht deutlicher hätte werden können.
    Ich beschloss, außer Landes zu gehen und mich noch einmal dem Malen zu widmen. Ich verkaufte «Wraxford Hall im Mondschein» an Magnus, was er mehrmals vorgeschlagen hatte. Hätte ich zu dieser Zeit gewusst, dass er Nell heiraten wollte, hätte ich dem niemals zugestimmt. Aber der Versuch des Exorzismus scheiterte, denn schon bald musste ich auf meiner Reise feststellen, während sich mir eine wunderbare Aussicht nach der anderen darbot, dass ich alles Interesse an Landschaften verloren hatte und nur mit Coleridge sagen konnte
     
    Ich sehe alle, ganz und gar von Liebreiz,
    Ich sehe, spüren kann ich nicht, wie schön sie sind!
     
    Nur Nell kam mir immer wieder in den Sinn. Anstatt sie zu vergessen, wie ich gehofft hatte, konnte ich mich an die kleinsten Nuancen ihrer Mimik erinnern, an die kaum merkliche Neigung ihrer Mundwinkel, die Asymmetrie ihres Gesichts, ihre Handbewegungen, die vereinzelten Strähnen, die sich ihrem Haarknoten entzogen. Ich unternahm endlose Versuche, ihr Gesicht nach meiner Erinnerung zu zeichnen, und obwohl mir keines von ihnen zu meiner Zufriedenheit gelang, konnte ich diese Bilder von ihr doch nicht verbrennen oder wegwerfen und bewahrte jedes auf, bis ich einen ganzen Koffer voll davon hatte.
     
    Ein Jahr später kehrte ich nach Aldeburgh zurück, natürlich in dem Wissen, dass sie – ich nahm an, glücklich – mit Magnus verheiratet war. Im Fall Cornelius Wraxford war immer noch kein Urteil gesprochen. Ich hätte meinem Partner die Treuhandschaft weiter überlassen sollen, aber ich konnte diese letzte Verbindung zu Nell nicht aufgeben – nicht, dass uns irgendetwas verbunden hätte. Magnus’ Briefe waren immer in vertraulichem Ton gehalten, aber enthielten über Nell nur

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