Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
Vom Netzwerk:
Verfassung, und kann versichern, dass es keine angenehme Erfahrung war.»
    Sein Blick streifte mich, als er das sagte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, bis sich die Nägel in die Handflächen gruben, in dem Versuch, meinen Schmerz zu verbergen. Anderthalb Jahre hatte ich ihn gefürchtet; jetzt wusste ich, dass ich ihn hasste.
    «Wenn wir das Fenster beiseitelassen, müssen wir weniger rationale Erklärungen heranziehen. Bekanntermaßen hat mein Onkel in der Nacht seines Verschwindens ziemlich viele Papiere verbrannt, darunter das Manuskript von Trithemius.»
    Wieder blickte Magnus in meine Richtung, als wolle er sagen: Ich weiß natürlich, mein Liebling, dass du nie von Trithemius gehört hast.
    «Bekannt ist Ihnen auch die merkwürdige Überzeugung meines Onkels – er hat sie vermutlich von Trithemius übernommen, vielleicht auch von Thomas Wraxford   –, dass die Kraft von Blitzen dafür nutzbar gemacht werden kann, einen Geist herbeizurufen, wobei er diese Rüstung nutzen wollte, um die Kraft des Blitzschlags aufzufangen. Als ich kürzlich in seinem Arbeitszimmer war, stieß ich auf einen Zettel mit Notizen – niedergeschrieben in einiger Hast und teilweise kaum zu entziffern   –, der hinter die Bücher gerutscht war.»
    Er zog aus seinem Jackett ein zerknittertes Blatt Papier.
    «Ich möchte Sie nicht mit meinen Bemühungen des Entzifferns langweilen. Die erste lesbare Passage lautet ‹erahne endlich T’s Sinn›. Ob ‹T› für Thomas oder für Trithemius steht, weiß ich nicht. Er nimmt dann auf die Rüstung als
Pforte
(das Wort ist mehrfach unterstrichen) Bezug. Sie könne genutzt werden, entweder um ‹herbeizurufen› oder ‹zu entschwinden, ohne das man sterben müsse› – und er betet um ‹die Kraft, das Gericht zu überstehen›. Mit anderen Worten: Er glaubte, dass er, wenn er in der Rüstung stünde, wenn der Blitz einschlägt, unbeschadet ins Jenseits käme, genau wie die Auferstandenen, der Bibel gemäß, nach dem Tag des Jüngsten Gerichts zum Himmel auffahren werden.»
    «Aber ganz sicher», sagte Doktor Rhys, «würde jeder, der närrisch genug wäre, diese Rüstung während eines Gewitters anzulegen, auf der Stelle sterben   … Ist es nicht möglich, dass Ihr Onkel genau das getan hat, wie Sie nahelegen, und in Asche verwandelt wurde, wenn nicht gar verrauchte, als der Blitz einschlug?»
    «Möglich, ja. Aber wir fanden keine Aschespuren, keine Spuren eines Brandes oder dergleichen in der Rüstung. Menschen wurden vom Blitz getroffen und haben es überlebt» – er machte eine Pause, als wäre ihm plötzlich ein Gedanke gekommen   –, «andere starben sofort und waren verkohlt; aber ich habe noch nie gehört, dass jemand einfach vom Erdboden verschwand.
    All das, da stimme ich zu, wäre vollkommen unglaublich, wenn es nicht die unleugbare Tatsache gäbe, dass mein Onkel verschwunden ist. Für einen Wissenschaftler gibt es da nur eins: eine Hypothese.»
    «Aber mein lieber Doktor Wraxford», sagte Mrs   Bryant, «wir können hier doch nicht tagelang sitzen und auf ein Gewitter warten.»
    «Dazu besteht glücklicherweise keine Notwendigkeit. Ichhabe mir eine Maschine verschafft – ein Gerät zur Stromerzeugung – das Bolton von der Bibliothek aus bedienen kann. Der Strom erreicht die Rüstung über Kabel, die unter der Tür hindurch verlegt sind. Zwar ist die Spannung nicht so heftig wie bei einem Blitzschlag, aber sie ist konstant.
    Es gibt eine Theorie, müssen Sie wissen, dass Geister eine elektrische Grundlage haben könnten. Damit Geister mit den Lebenden kommunizieren können – eine Frage, der wir morgen Abend auf den Grund gehen werden   –, müssen sie natürlich aus
etwas
sein. Einem Etwas, das Energie aufnehmen kann, dennoch nicht materiell ist. Für einen Wissenschaftler liegt der Gedanke nahe, an Strom oder Magnetismus zu denken.
    Ich habe angefangen daran zu zweifeln, dass die Besessenheit meines Onkels wirklich so verrückt war, wie ich zuerst annahm. Göttern wird oft die Macht zugeschrieben, Blitze schleudern zu können. Darin spiegelt sich natürlich eine primitive Ehrfurcht vor der Natur, aber dahinter mag sich eine richtige Intuition verbergen. Dasselbe gilt für die spiritistische Praxis, sich um den Tisch herum einander an den Händen zu berühren. Gespenster und Geister stellt man sich in der Regel als ausstrahlendes Licht vor, man denkt an das Elmsfeuer oder das seltene Phänomen eines Kugelblitzes   … Eine weit hergeholte Analogie, mögen Sie

Weitere Kostenlose Bücher