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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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sie ihn –für
mich
– verlassen hätte? Das vorsichtige Klopfen (von dem ich schwören konnte, es ein Dutzend Mal in dieser Nacht an meiner Tür gehört zu haben, obwohl nie jemand dort war) könnte von Nell sein, die da stand mit Clara auf dem Arm. Und so weiter drehten sich meine Gedanken, immer im Kreis, bis ich Albträume hatte, die schlimmer waren als meine düstersten Befürchtungen.
    Am Sonntagmorgen erfuhr ich, dass die Suche um halb vier aufgegeben worden war, genau wie Magnus angekündigt hatte. Er hatte den Verbliebenen des Suchtrupps und den abfahrenden Hausangestellten gesagt, dass Mrs   Wraxford – wohl verstört von Mrs   Bryants plötzlichem Tod – mit ihrem Kind zu Freunden gefahren sei und in der Aufregung vergessen haben musste, jemanden davon in Kenntnis zu setzen, wohin sie führe. Die Suche, so versicherte er, sei nur eine Vorsichtsmaßnahme gewesen. Er selbst würde noch ein oder zwei Tage in dem Herrenhaus bleiben, für den Fall, dass sie wiederkam. Alle Übrigen sollten sofort nach London zurückkehren. Ich konnte niemanden finden, der Magnus’ Rede mit eigenen Ohren gehört hatte, aber jeder versicherte mir – mit der Behauptung, er habe es von jemandem, der
zugegen
gewesen sei, gehört   –, dass er sich als ritterlicher Ehemann gezeigt hätte, der seine Frau in Schutz nahm. Aldeburgh war eine regelrechte Gerüchteküche mit all den Geschichten darüber, wie Eleanor Wraxford Mrs   Bryant vergiftet und ihre kleine Tochter erstickt und im Mönchswald vergraben habe, um mit ihrem Liebhaber zu fliehen.
    Jedem, mit dem ich sprach, versicherte ich, dass dies eine furchtbare Verleumdung einer unschuldigen Frau war, die wahrscheinlich selbst in Lebensgefahr schwebte, aber man runzelte nur die Stirn und blickte vielsagend. Wenn Eleanor Wraxford unschuldig war, warum war die Suche nach ihr dann so schnell eingestellt worden? Und wenn Mrs   Bryant eines natürlichen Todes gestorben wäre, warum war ihr Leichnam dann so schnell nach London zur Obduktion verschwunden? Einige wundertensich, warum ich nicht bei Magnus (es herrschte ein allgemeines Mitgefühl für ihn) in Wraxford Hall war. Ich konnte darauf nur antworten, dass er lieber allein sei; ich wagte nicht zu fragen, welche Gerüchte über
mich
umgingen.
    Das Wetter war weiter schwül und windstill, das Barometer fiel, bis am Montagnachmittag ein entferntes Donnern und Blitze am südlichen Horizont einen heftigen Regen ankündigten. Später erfuhr ich, dass man in Chalford in der Nacht zuvor einen einzelnen Blitz vom Mönchswald her gesehen hatte, dem etwa eine halbe Minute später ein dumpfes Geräusch gefolgt war, das ein Donnerschlag hätte sein können.
    Dienstag und Mittwoch gingen dahin; ich konnte mich weder dazu überwinden, die Wraxford-Dokumente selbst zu versenden, noch dazu, Joseph darum zu bitten. Ich sagte meinem Partner, dass ich wohl eine Grippe oder dergleichen ausbrütete, aber es kann nicht sehr überzeugend geklungen haben, weil ich die meiste Zeit auf der Suche nach Neuigkeiten durch die Gegend zog. Es schien mir, als begegne man mir mit Misstrauen, und ich hatte das Gefühl, die Leute redeten hinter meinem Rücken über mich, wo immer ich hinkam. Aber zu Hause zu sitzen war mir gänzlich unerträglich.
    Am Donnerstagmorgen wachte ich spät auf, nachdem ich am Abend mehr Whisky getrunken hatte, als ich vertrug, und gab vor zu frühstücken, als meine Haushälterin hereinkam: Inspektor Roper von Woodbridge wolle mich sehen.
    «Bringen Sie ihn herein», murmelte ich und tupfte mir den Schweiß von der Stirn.
    Mit Roper, einem breitschultrigen Mann in den Fünfzigern, war ich flüchtig bekannt. Als ich seinen schweren Schritt hörte, sprang ich auf und musste den idiotischen Impuls zu fliehen niederkämpfen. Sein kummervolles Gesicht, das in Farbe und Konsistenz einem Hefeteig glich, vermittelte zunächst einen dümmlichen Eindruck, bis man seiner Augen gewahr wurde – klein, tiefliegend, schlau   –, die einen aufmerksam betrachteten.
    «Verzeihen Sie, Sir, aber Ihr Angestellter sagte, Sie seien zu Hause, da erlaubte ich mir, hierherzukommen.»
    «Schon gut», sagte ich. «Möchten Sie einen Tee? – Was kann ich für Sie tun?»
    «Danke, Sir. Ich hatte schon am Bahnhof einen Tee. Und wie Sie sich denken können, Sir, geht es um Wraxford Hall.»
    «Wi– wirklich? Haben Sie etwas gefunden – gibt es Neuigkeiten von Mrs   Wraxford?»
    «Nein, Sir. Zu Besuch bei Freunden, heißt es.» Seine Zweifel waren

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