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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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unüberhörbar. «Sie sehen etwas mitgenommen aus, Sir, wenn ich das sagen darf.»
    «Ich fürchte, Sie haben recht», sagte ich heiser und sank auf meinen Stuhl zurück. «Die Sache – möchten Sie sich nicht setzen? – mit Wraxford Hall geht mir doch nahe   … Sie hat meine Familie ja seit Generationen begleitet   …», ich verstummte in dem Wissen, genau das Falsche gesagt zu haben.
    «In der Tat, Sir. Und genau deswegen bin ich hier», sagte er und setzte sich. «Wir erhielten ein Telegramm von Doktor Wraxfords Londoner Wohnsitz. Er hatte am Montag dort eintreffen wollen. Dann dachte man, dass er vielleicht einen Tag länger geblieben sei, falls Mrs   Wraxford   … Aber als man am Mittwochnachmittag noch immer kein Lebenszeichen von ihm hatte, bat man uns, zum Herrenhaus zu gehen und nachzusehen. Was wir taten, aber meine Männer fanden das Haus fest verschlossen, kein Anzeichen einer menschlichen Seele, auch kein Pferd. Wir haben natürlich in dem Mietstall von Pettingshill nachgeforscht, wann Doktor Wraxford sein Pferd zurückgebracht hat.»
    «Und?»
    «Das ist das Merkwürdige, Sir. Das Pferd kam unversehrt zurück. Der Stalljunge fand es am Montagmorgen vor dem Gatter – also draußen   –, gesattelt, die Zügel an den Sattelknopf gebunden, eine Guinee in der Satteltasche. So nahm Pettingshill an, dass Doktor Wraxford den Frühzug genommen hatte.Hat er aber nicht. Doktor Wraxford wurde seit Samstag, als man ihn in Wraxford Hall zurückließ, nicht mehr gesehen.»
    «Ich – äh – ich verstehe. Haben Sie eine Idee, Inspektor, was ihm widerfahren sein könnte?»
    «Ich hatte gehofft, Sir, dass Sie vielleicht weiterhelfen könnten   –», mein Herz machte einen Sprung – «wo Sie der Anwalt des Anwesens sind – und ein Freund der Familie und so weiter.»
    Seine kleinen Augen waren unruhig wie die einer Eidechse. Obwohl mich seine Unterstellung (ob real oder eingebildet, wusste ich nicht zu sagen) traf, war mein Kopf plötzlich klar.
    «Ich habe nichts gehört, leider   … Hat Bolton   – Doktor Wraxfords Diener   – Sie zu mir geschickt?»
    «Nein, Sir, ich kam von selbst auf die Idee. Wissen Sie, Sir, ich denke, wir müssen
im
Herrenhaus nachsehen, einfach um sicher zu sein. Aber es ist Privatbesitz, und – nun, angenommen, Doktor Wraxford wäre immer noch dort, es würde ihn sicher nicht erfreuen, wenn er die Polizei einbrechen sähe. So fragte ich mich, ob Sie die Schlüssel haben   …»
    «Ja, habe ich, in der Kanzlei   … Möchten Sie, dass ich nach Wraxford Hall fahre und – nach dem Rechten sehe?»
    Das klang wie ein Echo meiner eigenen Worte an Drayton, an jenem regnerischen Nachmittag vor einer Ewigkeit. Ich folgte einem Instinkt. Es war die Chance, das Herrenhaus alleine zu durchsuchen – die Chance, wie gering sie auch sein mochte, einen Hinweis auf Nells Verbleib zu finden.
    «Hm, ja, Sir. Das wäre wirklich sehr hilfreich. Brauchen Sie meine Begleitung?»
    Mir wurde klar, dass wenigstens Roper keinerlei Verdacht gegen mich hegte.
    «Ich glaube nicht, dass das notwendig ist, Inspektor. Sie haben sicherlich viel zu tun. Außer, natürlich, Sie meinen, Sie sollten auch zugegen sein.»
    «Ich stehe wirklich unter Zeitdruck, Sir, und sollte den nächsten Zug nach Woodbridge zurück nehmen   …»
    «Dann werde ich mich sofort auf den Weg machen; die frische Luft wird mir guttun. Sollte ich etwas finden – etwas Verdächtiges   –, werde ich direkt nach Woodbridge fahren und Ihnen berichten. In jedem Fall sende ich ein Telegramm, sobald ich wieder in Aldeburgh bin.»
    «Sehr gut, Sir, ich danke Ihnen. Herzlichen Dank!»
     
    Es war nach Mittag, als ich losfuhr. Die Wolken hingen tief und zogen schnell über die Felder, die noch feucht vom nächtlichen Regen waren, dahin; vom Meer her wehte ein kühler Wind. Alles erinnerte mich an die Fahrt mit Drayton. Ich war mir bewusst, dass meine Position bestenfalls fragwürdig war. – Wenn Magnus Bolton oder auch Doktor Rhys mitgeteilt hatte, dass er mir die Verwaltung des Nachlasses entzogen hatte   … Ich hatte zwar keine schriftliche Kündigung erhalten; aber das würde zumindest einiges Gerede nach sich ziehen.
    Am Samstag, als der Vorplatz voller Kutschen gestanden hatte, war ich zu erschüttert gewesen durch die Begegnung mit Magnus, hatte nur an Nell denken können und keinen Gedanken an die düstere Geschichte von Wraxford Hall verloren. Aber nun kehrten Ängste, die man eher mit dem Mittelalter verbindet, mit aller

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