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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Bibliothek brachte keine Hinweise zutage; das Siegel, das Magnus zur Vorbereitung der Séance auf der Rüstung angebracht hatte, war nicht gebrochen worden; man hatte die Bewegungen aller Anwesenden durch das Haus zu Protokoll gebracht. Magnus und Doktor Rhys beschlossen, erst im Morgengrauen einen Boten zum Telegraphenamt in Woodbridge zu senden, und im Haus zog man sich für einige Stunden zu einem unruhigen Schlaf zurück.
     
    Am nächsten Morgen, etwa um halb acht, kam Bolton aus Woodbridge zurück. Er hatte keinen Arzt finden können, der willens war, mit ihm zu kommen. Alle hatten auf die Mitteilung, dass Doktor Rhys in Wraxford Hall sei, geantwortet, dass er selbst den Totenschein unterzeichnen könne. Doktor Rhys gab daher – trotz allerlei Bedenken – akutes Herzversagen aufgrund eines Schocks, begünstigt durch langjährige Herzschwäche, als Todesursache an. Es war durchaus möglich, wie Magnus bemerkte, dass Mrs   Bryant wirklich geschlafwandelt war und dass der Schock, sich in der Galerie wiederzufinden, den tödlichen Krampf ausgelöst hatte.
    Magnus und Doktor Rhys saßen noch beim Frühstück (da Mrs   Wraxford alle Mahlzeiten in ihrem Zimmer einnahm, erwarteten sie sie nicht), als ein Reiter mit den Anweisungen von Mrs   Bryants Sohn eintraf. Ein Leichenbestatter und seine Leute würden in zwei Stunden eintreffen und die Leiche zur Obduktion durch einen ausgezeichneten Pathologen direkt nach London bringen. Doktor Rhys wollte daraufhin seinen Totenschein zerreißen, aber Magnus brachte ihn mit dem Hinweis, dass es den Anschein erwecken könne, sie hätten etwas zu verbergen, davon ab.
    Magnus hatte bereits beschlossen, nach London zurückzukehren, und so wurde Carrie beauftragt, die Sachen ihrer Herrin zu packen. Aber sie fand die Tür verschlossen und das Tablett unberührt an der Stelle im Korridor, an der sie es vor einer halben Stunde zurückgelassen hatte (sie war angewiesen, an die Tür zu klopfen und das Tablett abzustellen, ohne auf Mrs   Wraxford zu warten).
    Magnus’ Bitte folgend, begleitete Doktor Rhys ihn nach oben zu Mrs   Wraxfords Zimmer, wo die Tür aufgebrochen wurde – einen Riegel gab es nicht, der Schlüssel lag auf einem kleinen Tisch neben dem Bett. Sie fanden – oder vielmehr Magnus, beobachtet von Doktor Rhys, fand – ein Tagebuch, das aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag, eine Schreibfeder hielt die Seite geöffnet, als wäre die Schreiberin gerade unterbrochen worden, daneben befand sich ein heruntergebrannter Kerzenstumpf. Die Decke war zurückgeschlagen, das Kissen zerdrückt. Im Kinderzimmer nebenan (es hatte keinen separaten Eingang) waren die Laken im Kinderbett auf dieselbe Weise zurückgeschlagen. Schmutzige Windeln lagen im Eimer, im Becken war Wasser; nichts, das einen Kampf oder eine plötzliche Flucht anzeigte oder irgendeine Art von Aufregung. Und laut Carrie – obwohl sie nicht sicher sein konnte, weil ihre Herrin ihre Gewohnheiten so weit wie möglich verheimlichte – fehlten nur Mrs   Wraxfords Nachtkleid und die Windeln des Kindes.
    Es schien Doktor Rhys, als sie darauf warteten, dass die Tür aufgebrochen würde, dass Magnus eher versuchte Ärger als Angst zu verbergen. Mehrfach nickte er vor sich hin, als wolle er sagen: «Genau das habe ich von meiner Frau erwartet.» Aber als er begann, das Tagebuch zu lesen, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Alle Farbe schwand aus seinem Gesicht, seine Hand zitterte, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Ein oder zwei Minuten las er weiter und hatte seine Umgebung vollkommen vergessen; dann klappte er das Buch mit einerabrupten Bewegung zu und ließ es ohne eine Erklärung in seiner Tasche verschwinden.
    «Durchsuche das Haus», fuhr er Bolton an, der in der Tür stand. «Und lass jemanden den Wald durchsuchen. Mit dem Kind kann sie nicht weit gekommen sein   … Vielleicht, Rhys, könnten Sie bei der Suche helfen, während ich mich hier umsehe.»
    Es war ein Befehl, keine Bitte, und Doktor Rhys stolperte die nächsten Stunden vergeblich von einem staubigen Zimmer zum nächsten, ohne genau zu wissen, warum er das tat.
     
    ∗∗∗
     
    Eine Viertelstunde nachdem ich die Neuigkeiten gehört hatte, fuhr ich eilends die Aldringham Road hinunter. Es war ein warmer und schwüler Tag; mehrfach musste ich das Pferd rasten lassen, sodass ich erst nach zwei Uhr den Mönchswald erreichte. Als ich mich dem Anwesen näherte, hörte ich im Wald die Stimmen der Suchenden.
    Vor dem Haus warteten mehrere

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