Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Plötzlich sieht er nach unten, reißt die Augen auf und macht den Mund zu einem ganz kleinen runden »Ooooh!«. Mittendrin sackt sein Countertenor um mindestens zwei Oktaven nach unten in einen stattlichen Bass. Eine Stimme aus dem Off sagt: »Axe. Revitalising Shower Gel!« Als der Eunuch wieder aus der Dusche kommt, sehen die Haremsdamen sofort: Da ist auf einmal richtig Samba in der Pluderhose! Sie umringen ihn und rufen begeistert: Oh, Abdul! In kürzester Zeit ist »Oh, Abdul!« zum Synonym für eine stattliche Erektion geworden. Der Spot führte ein Jahr lang die Charts an. Es gibt nur ein Problem: Keine Sau kauft Axe. Niemand will, dass man ihn deswegen für impotent hält. Scheiß drauf! Wie sich das Produkt verkauft, ist mir wurscht. Hauptsache, die Kampagne steigert unsere Popularität.
Im Moment bin ich hinter dem Philips-Etat her. Ein neues Spracherkennungs-Programm soll beworben werden, ein Diktierprogramm für den Computer. Bisherhatte niemand eine zündende Idee. Ohne den kleinsten Funken von Inspiration drehe ich die Software in meiner Hand hin und her und stecke sie schließlich in meine Handtasche. Dabei fällt mir ein zerknüllter kleiner Post-it-Zettel in die Hand. Ich habe ihn eingesteckt, um vielleicht heute
The Voice
anzurufen. Ich lege den Zettel auf die Hermès-Schreibunterlage, streiche ihn glatt und verfolge, wie Julia Roberts zu Richard Gere ins Auto steigt.
Im Nebenzimmer fuchtelt Fred: »Ich habe Holtzbrinck unterm Knopf«, flüstert er mir zu und zeigt aufs Telefon. Ich probiere, ob Vivian alias Julia Roberts recht hat, wenn sie sagt, dass ein Fuß genauso lang ist wie ein Arm vom Ellbogen bis zum Handgelenk und mache eine abwehrende Geste. Fred bildet aus Zeigefinger und Daumen der linken Hand einen Kreis, um mir zu bedeuten, wie toll meine Entscheidung sei, einen wichtigen Mann wie Holtzbrinck einfach nicht sprechen zu wollen. Ich nicke lächelnd, reibe meine eiskalten Füße aneinander und höre Fred in die Muschel säuseln: »Ich glaube nicht, dass sie heute noch mal reinkommt! … Morgen noch mal? … Tun Sie mir die Liebe, ja?« Fred ist tricky wie ein Fünfjähriger, einfältig genug, zu glauben, andere Menschen fielen auf seine plumpen Schmeicheleien herein. Auch ich. Und so bescheißen wir uns gegenseitig im besten Einvernehmen.
Auch was Freds Veranlagung betrifft. Er denkt, keiner merkt, dass er schwul ist. Umsichtig bis zur Verschlagenheit tritt er seinem Naturell entgegen. Immer, wenn er eine Blondine mit Sanduhrfigur sieht, ruft er eine Spur zu laut: Olala! Oder er zieht geräuschvoll Luft durch die Zähne und schüttelt die Hand, um zu zeigen, wie heiß ihm wird. Durch die angelehnte Tür zum Vorzimmer beobachte ich ihn. Fred läuft, als sei sein Slip eingelaufen.Manchmal habe ich ihn im Verdacht, dass er Dessous aus Gummi trägt.
Überhaupt ist er heute wieder mal sehr voluminös in der Hose. Oh, Abdul! Höchstwahrscheinlich stopft er sich vorne einen Tannenzapfen rein. Und wie renitent der wieder durch die Nase pfeift! Ich halte ihn weder visuell noch akustisch aus und stoße mit dem Fuß die gläserne Tür zu.
Zwei. Sieben. Eins. Null. Sechs. Sechs. Fünf. Was erwartet mich, wenn ich diese Nummer wähle? Wird die aufregende Ausgangssituation nicht sofort entzaubert werden? Sind nicht 98 Prozent aller Männer untragbar? Vielleicht heißt der Typ Bodo Bommel und zahlt für die Rente ein. Womöglich guckt er
Lindenstraße,
hört Kuschelrock und bewegt die Lippen beim Lesen. Vielleicht ist sein Gewürzregal alphabetisch geordnet. Oder er ist einer von diesen Vorspiel-Softies, die dauernd fragen, wie ich’s gerne hätte. Vielleicht ist er behaart wie ein Affe, und ich habe nachher wieder büschelweise Schamhaare zwischen den Zähnen. Oder er schraubt stundenlang mit diesem heroischen Ich-mach-dir-heute-einen-Orgasmus-Gesicht an mir rum.
Wenn es einen Weg gäbe, nur über Sex zu kommunizieren wie im
Letzten Tango in Paris
! Ich kenne seinen Namen nicht und er nicht meinen. Er fragt mich nichts, ich frage ihn nichts. Wir treffen uns an den unmöglichsten Orten. Nur zum Ficken. Ohne Gelaber.
Wenn ich ihn nicht anrufe, werde ich es nie erfahren. Und während mein Kopf noch rebelliert, tippt mein Finger schon. Ein Rufzeichen. Zwei. Drei. Vier. Er ist nicht da! Gott sei Dank! Er ist nicht da! Ich will eben auflegen, da knackt es leicht, dann ein »Ja?«.
Ich erkenne die Stimme sofort wieder. Eigentlich findeich es unmöglich, wenn sich jemand mit »Ja?« meldet.
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