Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Verlaub, warum?«
Dietrich grinst besonders breit, sein Grinsen ist viel zu groß für sein Gesicht: »Reingelegt! Wir ham gar nich!«
Ich drehe mich weg, um meine Erleichterung zu verbergen, und tue so, als wollte ich mich umsehen. In Dietrichs Wohnung hat sich einiges verändert. Im Bücherregal fehlen der
Große Brockhaus,
Platons
Werke in fünf Bänden,
Peter Sloterdijks
Kritik der zynischen Vernunft,
die antiquarischen Jahrgänge der
Tübinger Altphilologischen Studien
und Prousts
Suche nach der verlorenen Zeit
. Es gibt überhaupt nur noch Werke von Sade. Die
120 Tage von Sodom,
abgegriffen, im einstmals schmucken Lederschuber, die
Philosophie im Boudoir
und eine Auswahl seiner Werke, herausgegeben von Beate Uhse. Den größten Raum nehmen lustigbunte DVD-Boxen mit wundersamen Titeln ein:
Teenies – zum ersten Mal die Faust im Arsch, Käptn Arsch und seine geilen Piraten, Schneewittchen und die sieben Neger, Fick und Fotzi – zwei spermageile Teenie-Muschis, Der Sextherapeut – viele Schwänze für Fräulein Fötzchen
…
»Du immer mit deiner Liebe!«, sage ich und betrachte einen Ochsenziemer, der sich neben Dietrichs Bett in hilfloser Drohgebärde verliert, »ich kenne dieses Gefühl ja nur vom Hörensagen, aber ein Kinderspiel ist das nicht. Immerhin ist Aphrodite …« – hier wird wie auf Stichwort das
Bärbel-Schäfer -Thema
noch mal eingeblendet – »… aus dem abgeschnittenen Pimmel ihres Vaters gemacht.«
Einige Minuten lang streiten wir, Dietrich noch immer mit heruntergelassenen Hosen, ob Aphrodite, die Schaumgeborene, die Liebesgöttin, wirklich aus einem schnöden Penis hervorgegangen sei. Einig sind wir uns, dass Kronos,der Sohn von Himmelsgott Uranos und Erdengöttin Gaia, seinen Vater entmannte. Aber Dietrich behauptet, aus Vatterns Pimmel wurden die Rachegöttinnen, die Erinnyen.
»Und wie ist Aphrodite deiner Meinung nach geboren, du Schlaumeier?«, frage ich und spüre, wie die Wut in mir hochsteigt.
Dietrich hebt den Zeigefinger und doziert: »Liebe Paprika! Hättest du die
Ilias
gelesen, dann wüsstest du es! Homer schreibt, sie war die Tochter von Zeus und Dione.«
»Du bist eben ein Wissender. Das wäre ich auch gern«, sage ich.
»Wünsch dir das bloß nich«, sagt Dietrich. »Gib dich lieber damit zufrieden, einigermaßen dekorativ zu sein.«
Ich stelle mir eben vor, wie ich dem halbnackten Besserwisser die Nudel langziehe, und schnaufe genüsslich. Er hält das Schnaufen für Resignation. »Tja«, sagt er mit Siegermiene, knöpft den Body im Schritt und macht mit einem lauten Rrrratsch den Hosenstall zu. »Man muss schon wissen, wo der Frosch die Locken hat!«
17. Ruf! Mich! An!
Träume von anonymem, schmutzigem Sex und wache mit zuckender Klitoris auf.
Dann liege ich stundenlang wach. Mir ist das Valium ausgegangen. Draußen auf der Straße werfen ein paar Besoffene einen Porsche um. Ich wälze mich hin und her und stelle mir wie so oft die elementaren Fragen des Lebens: Warum müssen wir essen? Warum müssen wir ficken? Warum müssen wir fernsehen? Was ist besser: Oralsex oder Schokolade? Ob es wohl möglich ist, einenPinscher mit einem Stiletto zu zertreten? Und würde ich davon endlich mal warme Füße kriegen?
42 Prozent aller Deutschen leiden an Schlafstörungen. sechs Prozent sind ernsthaft erkrankt. 2,7 Millionen Bundesbürger schlucken regelmäßig Schlaftabletten.
Polizei-Razzia im Puff am Ende der Straße. Acht Mannschaftswagen, drei zivile. Sicher wieder auf der Suche nach Thai-Frauen ohne Papiere. Hoffentlich ist Dietrich nicht gerade dort! Auf den Balkons Menschen im Schlafanzug mit Opernglas. Ich schließe gähnend die Fenster und Jalousien.
Mein rechter Fuß ist warm. Sieben Mal. Mein rechter Unterschenkel ist warm. Sieben Mal. Mein rechter Oberschenkel ist warm. Sieben Mal. Mein linker Fuß ist warm. Sieben Mal. Mein linker Unterschenkel ist warm … Scheiß autogenes Training! Hilft auch nicht! Doofer Herumwälzschlaf, dann wieder Licht an. Also zappen. Bei
Bärbel Schäfer
sind wieder allerlei Philosophen des Alltags zu Gast. Thema: »Ich hasse Türken und schäm mich nicht dafür.« Bärbel steht im Publikum und hält das Mikro tapfer wie ein kleiner Zinnsoldat. Der Protagonist erklärt sich: »Ich war mit meiner Tussi inne Disco. Ham ein übern Durst getrunken. Kam ein Türke, hat se angebaggert, hat mit ihr geschlafen. Jetzt hab ich mit ihr nix mehr am Hut. Und Türken hass ich.« Grölen, Trampeln, Beifall, Pfiffe. Bärbel, helle wie
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