Ruf! Mich! An! - Buschheuer, E: Ruf! Mich! An!
Phantomschmerz.
»Er warf die Schamteile ins brandungsreiche Meer. Fazit: Aphrodite ist so Schamglieder liebend, weil sie aus den Schamgliedern ans Licht trat.«
Dietrich schnauft. »Jetzt wird mir einiges klar! Schamglieder liebend!«
Da macht es schräg vor uns Pssst. Es ist ein Mann im Anzug, Bankertyp. »Hören Sie mal, Sie Anzug ohne Inhalt«, sage ich halblaut. »Da vorn singt ein Sandwich. Das kann doch jetzt nicht so wichtig sein!« Der Film beginnt. Schwarzweiß. Nacht. Außen. Finstere Männer schlagen eine Scheibe ein, schleppen Fernsehgeräte in ein großes weißes Auto. Umschnitt. In seiner Wohnung, am Fenster,steht Werner Enke. Er streut sich Salz auf eine Tomate und beobachtet gähnend den Einbruch. Da knarrt Dietrichs Lederjacke. Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu. Er guckt ertappt, knarrt aber weiter.
Jemand erlaubt sich einen fünfminütigen Hustenanfall. Ersticke, Bastard! Verrecke, Bronchialfaschist! Zehn Minuten später flüstert es von der Seite: »Hej, ihr! Könnt ihr wohl mal aufrutschen?« Aufrutschen! Wohl mal aufrutschen! Aus mehreren Gründen reagieren wir überhaupt nicht. Da drängelt er sich durch, zwängt sich an mir vorbei, tritt mich heftig und sagt mit Bierfahne: »Hoppla!« Er fegt meine Jacke vom benachbarten Stuhl, setzt sich hin und nimmt sofort die Armlehne in Beschlag. Ich kriege einen Adrenalinstoß und atme tief aus und ein. Ich nehme mir zum wiederholten Mal vor, keinen Kaffee mehr zu trinken, mit Yoga anzufangen, eine Bachblütentherapie zu machen, mehr Sport zu treiben, die Valium-Dosis zu erhöhen. Aber das einzige, was mich beruhigt, ist meine Hand auf dem Holster.
Auf der zerschlissenen Leinwand sieht man ein Schwimmbad. Ein betonierter Weg führt über die Liegewiese. Drauf liegt eine Glasscherbe. »Da liegt eine Glasscherbe«, sagt ein Kino-Dummschwätzer mit Ernie-Stimme halblaut. »Kann ich auf dich zählen, wenn es hier gleich knallt?«, flüstere ich Dietrich zu. Der sieht mich verständnislos an. »Ich meine, wenn ich jemanden wegpuste?«, sage ich. Werner Enke beobachtet entspannt, wie die Leute in die Scherbe reintreten. Auch ein besonders heißer Feger mit rundem Gesicht und toupiertem Haar. »Das ist ja Uschi Glas!«, ruft erfreut Ernie. »Da war sie noch ganz jung! Zum Schießen!« Schießen! Gute Idee!
Als ich aufstehen und ihm die Fresse polieren will,bekomme ich einen kräftigen Stoß in den Rücken. Direkt hinter mir sitzt ein Lehnentreter! So ’n Bundeswehr-Penner auf Wochenendurlaub. Er winkt mir fröhlich zu, als ich mich umdrehe. Ich öffne das Holster, vorsichtig, damit Dietrich nicht erschrickt. Und dann wieder knarrt.
Werner Enke streitet mit der Schwimmbad-Garderobiere. Das sei nicht seine Hose, ruft er, niemals! »Ist aber doch seine Hose«, ruft Ernie naseweis. Ich streiche über das kühle Metall meiner Pistole.
Werner Enke klaut für Uschi Glas im Zoo eine Ziege. Ein Blinder muss im Kino sein, denn Ernie erzählt immer genau, was grade passiert. »Jetzt packt er die Ziege in einen Kinderwagen. Jetzt rennen sie weg.«
Vor mir Popcorn-Ploppen, links Bierfahne und LehnenKlau, hinter mir der Pappsoldat, der alle zwei Minuten sein blödes Knie nachstemmt, schräg hinter mir Ernie, der Simultan-Übersetzer. Irgendwo hat einer monströs gefurzt. Dazu Dauerknistern. Außerdem zieht’s! Das ist kein Kino, sage ich halblaut, das ist ein Irrenhaus! Mein Puls rast. Ich sehe Sterne. Ich zerre mein Handy aus der Tasche und kündige per SMS meine Mitgliedschaft im »Förderkreis der Cineasten«. Dietrich kaut an den Fingernägeln, und ich haue drauf. Er erschrickt, legt dann beruhigend die Hand auf meinen Arm. Aber dabei knarrt seine Jacke.
Werner Enke hat Uschi Glas zu sich nach Hause gelockt. Er zeigt ihr ein Daumenkino. Erst darf sie nur auf den linken Kampf gucken, da kämpft der schlaffe Haro mit der roten Hose, der Neger, gegen Ika Staatenlos, Würger. Dann kommt der rechte Kampf. Waloschke Breslau gegen Gordon Apollo, USA. Leider kann ich das Daumenkino nicht erkennen, weil sich direkt vor mir ein Sitzriese im Dunkeln auf den Plastik-Kotzfleck gesetzthat. Er sitzt dumm da, zu voller Größe aufgerichtet, auf dem Kopf einen Haarbürzel, der den entscheidenden Teil der Leinwand verdeckt. Und ein anderer knistert besonders schamlos. Ich sehe den Übeltäter! Er frisst wie in Trance Katjes aus der Plastiktüte und sitzt rechts vor Dietrich, in Greifweite. Uschi Glas liegt jetzt auf dem Bett. Sie hat ihr trägerloses Kleid an. Werner Enke
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