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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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anderen Blöße nicht anzutasten, endlich gefunden haben.
    »Ich denke, wir wollten …«, fing ich an.
    »Keine Reden schwingen, ich weiß.«
    Dann gingen wir zurück zur Buchhandlung, stellten unsere Räder draußen ab und traten ein.
    Das war eine sehr besondere Sache. Als wenn man jemandem seine Privatkapelle zeigt, seinen geheimen Rückzugsort, den Platz, an den man – wie auf Monets Malplatz –
kommt, um allein zu sein, um von anderen zu träumen. Dort habe ich von dir geträumt, ehe du in mein Leben kamst.
    Wie er sich in der Buchhandlung bewegte, gefiel mir gut. Er war neugierig, aber nicht verbissen, interessiert, dabei aber lässig, wechselnd zwischen einem Schau mal,
was ich gefunden habe und War doch klar, das Soundso muss eine Buchhandlung einfach haben!
    Der Buchhändler hatte zwei Exemplare von Stendhals Armance bestellt, eine Taschenbuchausgabe und ein teures Hardcover. Spontan entschied ich mich für
beide, er solle sie meinem Vater in Rechnung stellen, sagte ich und bat seinen Verkäufer um einen Stift. In die Hardcover-Ausgabe schrieb ich Zwischen immer und nie,
für dich in der Stille, irgendwo in Italien Mitte der achtziger Jahre .
    Ich wollte, dass er später, wenn er dann das Buch noch besaß, Schmerz empfand, oder besser noch, dass eines Tages jemand in seinen Büchern stöberte, das Armance -Bändchen aufschlug und fragte: Sag mal, wer war denn das »in der Stille« irgendwo in Italien Mitte der achtziger Jahre? Ich wollte, dass er etwas empfand, was bohrend wie Kummer war und stärker als Bedauern, vielleicht sogar Mitleid mit mir, weil ich an jenem Vormittag in der Buchhandlung auch Mitleid
akzeptiert hätte, wenn es denn alles war, was er zu geben hatte, und ihn dazu hätte bewegen können, einen Arm um mich zu legen. Und ich wollte, dass aus Mitleid und Bedauern, die ihn
seit Jahren als vage erotische Unterströmung begleiten, die Erinnerung an den Vormittag auf Monets Malplatz auftauchte und an meinen Kuss –, nicht den ersten, sondern den zweiten,
als ich ihm meinen Speichel in den Mund gab, weil es mich so sehr nach seinem Speichel in meinem Mund verlangte.
    Mein Geschenk sei das Beste, was er in diesem Jahr bekommen habe, sagte er – oder etwas in der Art, ein konventioneller Dank, den ich mit einem leichten Schulterzucken quittierte.
Vielleicht wollte ich auch nur, dass er es noch einmal sagte.
    »Freut mich. Ein kleines Dankeschön für diesen Vormittag.« Und ehe er mich unterbrechen konnte: »Ich weiß. Keine großen Reden. Alles klar.«
    Auf unserem Weg bergab kamen wir an meinem Lieblingsplatz vorbei, und diesmal sah ich weg, als hätte ich ihn ganz vergessen. Hätte ich Oliver in diesem Moment angesehen, hätten
wir bestimmt jenes ansteckende Lächeln ausgetauscht, das wir uns vorhin verboten hatten. Es hätte uns näher zusammengebracht, wenn auch nur, um uns in Erinnerung zu rufen, wie sehr
wir Abstand voneinander halten mussten. Vielleicht hätten uns das Wegsehen und die Erkenntnis, dass wir weggesehen hatten, um das Redenschwingen zu vermeiden, einen Grund geliefert, uns doch
anzulächeln, denn ich wusste, dass er wusste, dass ich wusste, dass er wusste, dass ich peinlich vermied, Monets Malplatz zu erwähnen, und dass genau das, was eigentlich noch mehr Abstand
zwischen uns hätte schaffen müssen, ein Augenblick intimster Übereinstimmung war, den wir beide nicht zerstören wollten. Der ist auch in dem Bildband, hätte ich sagen
können, biss mir dann aber schnell auf die Zunge. Keine großen Reden.
    Wenn er aber auf einer gemeinsamen Fahrt in den nächsten Tagen fragen sollte, würde ich mir alles von der Seele reden.
    Ich würde ihm sagen, dass ich mir zwar fest vorgenommen hatte, nichts Falsches zu erzählen, wenn wir zu unserer geliebten Piazzetta radelten, dass ich aber abends, wenn ich wusste,
dass er im Bett lag, meine Fensterläden öffnete, auf den Balkon trat und hoffte, er hätte vielleicht das Klirren der Scheibe in meiner Balkontür gehört, gefolgt von dem
verräterischen Quietschen der alten Scharniere. Dass ich dort auf ihn wartete, nur in meiner Pyjamahose, bereit, auf seine Frage, was ich da trieb, zu behaupten, es sei zu heiß und der
Geruch der Citronella nicht auszuhalten, ich könne nicht schlafen, aber zum Lesen hätte ich auch keine Lust, ich wolle einfach nur aufs Meer hinaussehen und wenn er fragte, warum ich
nicht schlafen könne, würde ich sagen, das interessiert dich ja doch nicht oder ihm auf Umwegen beibringen,

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