Ruf mich bei Deinem Namen
zwei, vielleicht drei Tage
hintereinander gehabt hatte. In meinem Traum hatte er mich angefleht: »Nicht aufhören, es bringt mich sonst um.« Ich meinte mich an den Zusammenhang zu erinnern, aber er war mir so
peinlich, dass ich ihn nicht einmal mir selbst gegenüber zugeben mochte, ich verbarg ihn unter der Decke, von der ich nur hin und wieder einen Zipfel lüftete, um einen Blick zu
riskieren.
»Der Tag gehört zu einer anderen Zeit. Wir müssen lernen, schlafende Hunde …«
Oliver ließ mich reden. »Diese Weisheiten sind der sympathischste Zug an dir«, sagte er schließlich, sah von seinem Block auf und mir gerade ins Gesicht, was mir sehr
unbehaglich war. »Hast du mich wirklich so gern, Elio?«
»Ob ich dich gern habe?« Das hatte ungläubig klingen sollen, als könne ich nicht fassen, dass er daran je gezweifelt hatte, aber ehe ich es mir anders überlegen und
meine Antwort mit einem vielsagend ausweichenden Vielleicht abschwächen konnte, das in Wahrheit und ob bedeutete, lief meine
Zunge mit mir davon. »Ob ich dich gern habe, Oliver? Ich bete dich an.« So, jetzt war es heraus. Das Wort sollte ihn aufschrecken, sollte wie eine dieser Ohrfeigen wirken, die
zärtlichste Liebkosungen nach sich ziehen können. Was bedeutet schon »gern haben«, wenn es um Anbetung geht? Aber ich sah den Satz auch als
jenes unübertroffene Totschlagsargument, mit dem der beste Freund des von uns Angeschwärmten uns beiseite nimmt und sagt Hör mal, ich glaube, du solltest wissen,
dass Soundso dich anbetet . »Anbeten« sagte mehr, als irgendjemand in dieser Situation wahrscheinlich wagen dürfte, aber es war das Ungefährlichste und letztlich
Undurchsichtigste, was mir einfiel. Ich gratulierte mir dazu, dass ich mir die Wahrheit von der Seele geredet hatte und dabei – sollte ich mich zu weit vorgewagt haben – ein
Schlupfloch für einen umgehenden Rückzug ließ.
»Ich fahre mit dir nach B.«, sagte er. »Aber – keine großen Reden!«
»Keine Reden, nichts, kein Wort.«
»Schnappen wir uns in einer halben Stunde die Räder?«
Für dich, Oliver, dachte ich auf dem Weg in die Küche, um einen Happen zu essen, für dich tu ich alles. Werde mit dir den Hang hoch und um die Wette in die Stadt fahren, ohne aufs
Meer zu deuten, wenn wir an Monets Malplatz vorbeikommen, in der Bar an der Piazzetta warten, während du bei deiner Übersetzerin bist, das Denkmal für den unbekannten Soldaten
berühren, der am Piave gefallen ist, ich werde kein Wort sagen, ich werde dir den Weg zur Buchhandlung zeigen, und wir werden unsere Räder draußen abstellen und das Geschäft
zusammen betreten und wieder verlassen, und ich verspreche hoch und heilig, dass ich weder Shelley noch Monet erwähnen und mich auch nicht so weit demütigen werde, dir zu sagen, dass du
vor zwei Nächten einen weiteren Jahresring um meine Seele gelegt hast.
Ich werde mich an den Dingen um ihrer selbst willen freuen, beschloss ich. Wir sind zwei junge Männer, die mit dem Rad unterwegs sind, wir werden in die Stadt fahren und zurückkommen,
wir werden schwimmen, Tennis spielen, essen, trinken, und unsere Wege werden sich am späten Abend auf eben jener Piazzetta kreuzen, auf der vor zwei Tagen so viel, aber eigentlich so wenig
gesagt wurde. Er wird ein Mädchen dabei haben, und ich werde ein Mädchen dabei haben, wir werden sogar glücklich sein. Wenn ich die Sache nicht vermassele, können wir jeden Tag
mit den Rädern in die Stadt fahren, und selbst wenn das alles ist, was er zu geben bereit ist, werde ich es akzeptieren – ich würde mich mit noch weniger zufriedengeben, um mit
diesen fadenscheinigen Fetzen leben zu dürfen.
Wir radelten in die Stadt, die Übersetzerin war schnell abgefertigt, aber auch nachdem wir rasch einen Kaffee in der Bar getrunken hatten, war die Buchhandlung noch geschlossen. Wir
drückten uns auf der Piazzetta herum, ich betrachtete das Kriegerdenkmal, er sah auf die funkelnde Bucht hinaus. Über Shelleys Geist, der jeden unserer Schritte durch die Stadt begleitete
und nachdrücklicher winkte als Hamlets Vater, fiel kein Wort. Wie kann man bloß in so einem Meer ertrinken, sagte er, ohne nachzudenken. Ich lächelte über seinen versuchten
Rückzieher, und plötzlich hatten wir beide ein Verschwörerlächeln auf den Lippen, und das war wie der leidenschaftlich feuchte Kuss zweier Menschen, deren Münder sich
über die sengende rote Wüste hinweg, die sie absichtsvoll zwischen sich gelegt haben, um des
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