Ruf mich bei Deinem Namen
Kekse zum Nachmittagstee zu besorgen.
In meinem früheren Schlafzimmer schlug mir ein Geruch entgegen, den ich nicht recht einordnen konnte, es mochte eine Mischung aus vielerlei Dingen sein – aber dann entdeckte ich
das zusammengerollte Handtuch, das er unter den Türspalt geschoben hatte. Er hatte im Bett gesessen, einen halbvollen Aschbecher auf dem rechten Kissen.
»Komm herein«, sagte er und schloss die Balkontür. Ich muss wie versteinert dagestanden haben.
Wir flüsterten beide. Ein gutes Zeichen.
»Du rauchst mal wieder?«
»Nur ab und zu.« Er ließ sich aufs Bett fallen.
Weil mir nichts Besseres zu sagen oder zu tun einfiel, murmelte ich: »Ich bin nervös.«
»Ich auch.«
»Ich mehr als du.«
Er versuchte die Befangenheit zwischen uns wegzulächeln und gab mir die Zigarette.
Jetzt hatte ich wenigstens etwas zu tun.
Ich dachte daran, wie ich ihm eben noch auf dem Balkon fast um den Hals gefallen wäre und mich erst im letzten Moment gebremst hatte, weil eine Umarmung nach unserem frostigen Umgang den
Tag über wohl nicht recht passend gewesen wäre. Dass jemand vorschlägt, sich um Mitternacht mit dir zu treffen, bedeutet noch nicht, dass du automatisch verpflichtet bist ihn zu
umarmen, nachdem du ihm die ganze Woche kaum die Hand geschüttelt hast. Ich dachte daran, wie ich mich vor dem Klopfen damit gequält hatte: Umarmen? Nicht umarmen? Umarmen?
Jetzt stand ich im Zimmer.
Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Bett und wirkte kleiner. Jünger. Ich stand verlegen am Fußende und wusste nicht wohin mit meinen Händen. Er muss gesehen haben, wie ich
mich mühte, sie auf den Hüften liegen zu lassen, wie ich sie in die Taschen steckte, wieder auf die Hüften legte.
Ich mache mich lächerlich, dachte ich. Mit diesem Getue und mit der Umarmung, die ich mir verkniffen habe. Hoffentlich hat er wenigstens das nicht gemerkt.
Ich kam mir vor wie ein Schüler, der zum ersten Mal mit der Klassenlehrerin allein ist. »Komm, setz dich.«
Stuhl oder Bett?
Zögernd krabbelte ich aufs Bett und setzte mich hin, mit gekreuzten Beinen wie er, als sei das so Brauch unter Männern, die sich um Mitternacht treffen. Ich achtete peinlich darauf,
dass unsere Knie sich nicht berührten. Weil er sich daran stören würde, so wie er sich an der Umarmung stören würde, so wie er sich daran gestört hatte, dass ich, weil
mir nichts Besseres einfiel um ihm zu zeigen, dass ich gern noch mit ihm auf Monets Malplatz geblieben wäre, meine Hand auf seinen Schritt gelegt hatte.
Aber ehe ich mir allzu viele Gedanken über diesen Abstand zwischen uns machen konnte, war mir, als spüle der Wasserschleier auf der Schaufensterscheibe des Blumengeschäfts all
meine Schüchternheit, all meine Hemmungen weg. Nervosität hin oder her – ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, jede meiner Empfindungen zu hinterfragen. Wenn ich mich dumm
anstelle, dann stelle ich mich eben dumm an. Wenn ich sein Knie berühre, berühre ich es eben. Wenn ich ihn umarmen will, tue ich es. Weil ich eine Stütze für meinen Rücken
brauchte, rückte ich so weit nach oben, dass ich mich neben ihm ans Kopfbrett lehnen konnte.
Ich musterte das Bett, ich konnte es jetzt deutlich erkennen. Hier hatte ich viele Nächte lang von so einem Augenblick geträumt. Jetzt war ich angekommen. In wenigen Wochen würde
ich hier liegen, würde das Nachtlicht aus Oxford anmachen und mich daran erinnern, wie ich ihn vom Balkon aus nach den Hausschuhen hatte tasten hören. Mit welchen Gefühlen würde
ich an diesen Augenblick zurückdenken? Traurig? Voller Scham? Oder – hoffentlich – mit Gleichmut?
»Bist du okay?«
»Ich bin okay.«
Es gab absolut nichts zu sagen. Ich streckte meine Zehen aus und berührte seine. Dann schob ich gedankenlos meine große Zehe zwischen seine große und die zweite Zehe. Er zuckte
nicht zurück, er reagierte gar nicht. Plötzlich hatte ich Lust, Zehe für Zehe mit meinen Zehen anzutippen. Da ich links von ihm saß, waren es vermutlich nicht die Zehen, die
mich neulich beim Lunch berührt hatten, der Missetäter war sein rechter Fuß gewesen. Ich versuchte ihn mit meinem rechten Fuß zu erreichen, vermied es aber, seine Knie zu
berühren, als hätte mir etwas gesagt, dass Knie tabu waren. »Was machst du da?«, fragte er schließlich. »Nichts.« Ich wusste es selber nicht, aber
allmählich erwiderte er die Berührung, ein wenig abwesend, ohne Überzeugung, nicht weniger befangen als ich, als wollte er sagen Was bleibt
Weitere Kostenlose Bücher