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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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er sich jetzt entspannen.
Irgendwann begriff ich, dass auch er längst nackt war, ich hatte nicht gemerkt, wie er sich ausgezogen hatte, und jetzt spürte ich alles an ihm. Wo war ich gewesen? Ich hatte taktvoll
fragen wollen, wie es um seine Gesundheit stand, aber auch diese Frage war offenbar schon eine Weile beantwortet, denn als ich mich endlich dazu aufraffte, sagte er: »Hab ich dir nicht schon
gesagt, dass ich okay bin?« »Und ich habs dir auch gesagt.« »Ja.« Er lächelte. Ich sah weg, weil er mich anstarrte und ich merkte, dass ich rot geworden war und
das Gesicht verzog. Dabei wollte ich, dass er nicht aufhörte, mich anzusehen, auch wenn es mir peinlich war, und auch ich wollte ihn weiter ansehen, während wir uns zu einer Art
Ringerstellung zurechtrückten und seine Schultern meine Knie berührten. Weit hatten wir es gebracht seit jenem Nachmittag, als ich meine Unterwäsche aus- und seine Badehose angezogen
und mir gesagt hatte, dass ich ihm näher wohl nie kommen würde. Und jetzt das. Ich stand an einer Schwelle, aber mochte mich nicht trennen, denn ich wusste, von hier gab es keine
Wiederkehr. Als es geschah, war nichts so, wie ich es mir erträumt hatte, sondern brachte ein Maß an Missempfinden, das mich zwang, mehr von mir preiszugeben, als mir lieb war. Ich
spürte einen Impuls, ihn aufzuhalten, und als er es merkte, fragte er nach, aber ich gab keine Antwort oder wusste nicht, worauf ich hätte antworten sollen, und eine Ewigkeit verging
zwischen meinem Zaudern und der Entscheidung, die er instinktiv für mich traf. Von jetzt an gilt es, dachte ich, von jetzt an … Ich hatte, wie noch nie zuvor, die Empfindung, gerade
etwas sehr Kostbares zu erlangen, was ich mir nun für immer und ewig wünschte – das Bewusstsein, ich zu sein, ich, ich, ich, ich und niemand sonst, nur ich, bei jeder
Gänsehaut, die meine Arme überlief, etwas ganz Fremdes und doch nicht Unvertrautes zu spüren, als hätte all das mein Leben lang zu mir gehört und als hätte ich es nur
verlegt, als hätte er mir geholfen, es wiederzufinden. Der Traum hatte recht gehabt, es war wie eine Heimkehr, wie die Frage: Wo bin ich mein Leben lang gewesen? oder anders gefragt: Wo warst
du in meiner Kindheit, Oliver? Oder wieder anders gefragt: Was ist das Leben ohne dies? Und deshalb war schließlich ich es und nicht er, der nicht einmal, sondern immer wieder
hervorstieß: Nicht aufhören, du bringst mich sonst um!, denn damit konnte ich nun den Kreis zwischen Traum und Wunschvorstellung, zwischen dem Ich und dem Er schließen, die
ersehnten Worte, die aus seinem Mund in meinen Mund kamen, wieder in seinen zurückkehren lassen, von Mund zu Mund tauschen, und in diesem Augenblick habe ich wohl angefangen, obszöne
Ausdrücke zu benutzen, die er mir nachsprach, leise zuerst, bis er sagte: »Ruf mich bei deinem Namen, dann ruf ich dich bei meinem«, was ich noch nie im Leben getan hatte und was
mich, sobald ich meinen Namen so aussprach, als wäre es der seine, in ein Reich versetzte, das ich nie zuvor und nie danach mit irgendeinem anderen Menschen geteilt habe.
    Hatten wir Krach gemacht?
    Er lächelte. Keine Sorge.
    Vielleicht habe ich sogar geschluchzt, aber ich bin nicht sicher. Er nahm sein Hemd und putzte mich damit ab. Mafalda sucht immer nach Spuren. Hier wird sie keine finden, sagte er. Ich nenne es
das Flatterhemd, antwortete ich, du hast es an deinem ersten Tag hier getragen, es ist dir näher, als ich es bin. Das bezweifle ich, sagte er. Er mochte mich noch nicht loslassen, aber als
unsere Körper sich trennten, erinnerte ich mich dunkel, dass ich vor einer Weile zerstreut ein Buch weggeschoben hatte, das unter meinem Rücken gelandet war, als er noch in mir war. Jetzt
lag es auf dem Fußboden. Wann hatte ich erkannt, dass es ein Exemplar von Se l’amore war? Wie hatte ich bei aller Leidenschaft Zeit gefunden mich zu
fragen, ob er an dem gleichen Abend bei der Buchvorstellung gewesen war wie ich mit Marzia? Sonderbare Gedanken, die aus weiter Ferne herzutreiben schienen – nicht mehr als eine halbe
Stunde danach.
    Es muss mich etwas später überkommen haben, als ich noch in seinen Armen lag. Es weckte mich, ehe ich gemerkt hatte, dass ich eingedämmert war, und erfüllte mich mit einem
unerklärlichen Gefühl von Angst und Unruhe. Mir war so flau, als hätte ich mich erbrochen und hätte, um das Erbrochene abzuwaschen, nicht nur endloses Duschen gebraucht, sondern
ein ganzes Vollbad in

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