Ruf mich bei Deinem Namen
sagte ich, wenn er sich bitte nur ein wenig vorbeugen könnte … Und als mein Finger ganz in
ihm war, kam mir eine Idee. Wir würden anfangen, es aber auf keinen Fall zu Ende bringen, würden duschen und aus dem Haus gehen und uns fühlen wie zwei stromführende
Drähte, die Funken sprühen, sobald sie sich berühren. Wir würden alte Häuser anschauen und jedes einzelne umarmen, würden den Laternenpfahl an der Ecke anspritzen
wollen wie Hunde, im Schaufenster einer Kunstgalerie auf den Aktbildern nach dem Loch bei der Nackten suchen, würden einem Gesicht begegnen, das uns zulächelte, und die ganze Person mit
den Augen ausziehen, würden sie – oder ihn oder beide – zu Drinks einladen, zum Abendessen, einerlei, würden überall in Rom Cupido finden, dem wir einen
Flügel beschnitten hatten, so dass er im Kreis fliegen musste.
Wir hatten nie zusammen geduscht. Wir waren auch noch nie zusammen auf der Toilette gewesen. »Ich will zusehen.« Plötzlich empfand ich großes Mitleid mit ihm –
mit seinem Körper, seinem Leben, das mir plötzlich so gebrechlich und verwundbar vorkam. »Unsere Körper haben jetzt keine Geheimnisse mehr voreinander«, sagte ich, als
ich mich hinsetzte. Er war in die Badewanne gestiegen und wollte gerade die Dusche anstellen. »Ich will, dass du meins siehst«, sagte ich. Er tat mehr als das. Er stieg wieder aus der
Wanne, küsste mich auf den Mund, drückte und massierte mit der Handfläche meinen Bauch und sah zu, wie es kam.
Ich wollte keine Wände mehr zwischen uns haben. Den Kitzel schrankenloser Offenheit, den wir empfanden und der uns immer enger aneinander band, wenn wir schworen Mein
Körper ist dein Körper – diesen Kitzel genoss ich wohl auch deshalb, weil ich Freude daran hatte, die kleine Laterne unvermuteter Scham wieder zu entzünden, die
ein mattes Licht genau auf die Stellen richtete, die ich lieber im Dunkel belassen hätte. Ohne Scham keine Intimität. Würden wir uns die Intimität erhalten können, wenn die
Unanständigkeiten aufgebraucht, wenn unseren Körpern die Tricks ausgegangen waren?
Ich glaube nicht, dass ich die Frage damals gestellt habe und bin auch nicht sicher, ob ich sie heute beantworten könnte. Wurde unsere Intimität mit der falschen Währung
bezahlt?
Oder ist Intimität etwas, was man einfach haben muss, einerlei, wo man sie findet, wie man sie erwirbt, was man dafür zahlt – Schwarzmarkt, grauer Markt, versteuert,
unversteuert, Mangelware, reguläres Angebot?
Ich wusste nur, dass ich jetzt nichts mehr vor ihm zu verbergen hatte. Ich hatte mich noch nie freier oder sicherer gefühlt.
Wir würden drei Tage miteinander allein sein, wir kannten keine Seele in der Stadt; ich konnte sein, wer ich wollte, konnte alles sagen, alles tun. Ich kam mir vor wie ein Kriegsgefangener,
den überraschend eine Invasionsarmee befreit und nach Hause geschickt hat, ohne Formalitäten, ohne Debriefing, ohne Befragungen, ohne Bus, ohne Passierschein, ohne Anstehen nach sauberen
Sachen. Lauf einfach los.
Wir duschten. Tauschten die Klamotten, die Unterwäsche. Es war meine Idee.
Vielleicht half ihm das ja, noch einmal jugendlich albern zu sein.
Vielleicht war er schon vor Jahren »dort« gewesen und machte auf der Heimreise hier nur einen kurzen Zwischenaufenthalt.
Vielleicht ging er einfach nur mit und beobachtete mich.
Vielleicht hatte er es noch nie mit jemandem gemacht, und ich kam ihm wie gerufen.
Er griff sich sein Manuskript und seine Sonnenbrille, und wir machten die Tür hinter uns zu. Zwei Drähte unter Strom. Wir stiegen aus dem Aufzug. Strahlten alle Leute an. Das
Hotelpersonal. Die Blumenfrau auf der Straße. Das Mädchen im Zeitungskiosk.
Lächle, und die Welt lächelt zurück. »Ich bin glücklich, Oliver«, sagte ich.
Er sah mich verblüfft an. »Geil bist du, das ist alles.«
Unterwegs entdeckten wir einen Dante als menschliche Statue mit rotem Mantel, übertriebener Hakennase und überheblichem Gesicht. In der roten Toga, der roten Mütze und mit der
dickrandigen Holzbrille in dem strengen Gesicht sah er aus wie ein unnachsichtiger Beichtvater. Eine Menschenmenge hatte sich um den großen Barden versammelt, der regungslos und kerzengerade,
die Arme herausfordernd gekreuzt, auf dem Gehsteig stand, als warte er auf Vergil oder einen verspäteten Bus. Sobald ein Tourist eine Münze in ein hohles altes Buch warf, spielte er den
verliebten Dante, der gerade seine Beatrice über den Ponte Vecchio hat schreiten
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