Ruf mich bei Deinem Namen
ohne dass die Feuchte gewichen wäre. Bis zum Anbruch der Dunkelheit war es nur noch eine knappe Stunde. Um die Straßenlaternen lag dichter Dunst, und die
beleuchteten Auslagen der Schaufenster schienen in selbst erfundene funkelnde Farben getaucht. Feuchter Glanz auf allen Stirnen, allen Gesichtern, auch auf seinem, das ich so gern gestreichelt
hätte. Ich konnte es kaum erwarten, ins Hotel zu kommen, zu duschen und mich aufs Bett zu werfen, auch wenn ich wusste, dass es mir danach, wenn wir keine gute Klimaanlage hatten, nicht viel
besser gehen würde. Aber ich mochte auch die Trägheit, die über der Stadt lag wie der müde schwankende Arm eines Liebhabers, der deine Schulter umfasst.
Ob wir einen Balkon haben würden? Einen Balkon mit kühlen Marmorstufen, auf denen man sitzen und den Sonnenuntergang über Rom anschauen konnte? Mineralwasser. Oder Bier. Und
Kleinigkeiten zum Knabbern. Mein Vater hatte uns in einem der komfortabelsten Hotels von Rom untergebracht.
Oliver wollte das nächstbeste Taxi nehmen, ich lieber mit dem Bus fahren. Ich hatte große Lust auf übervolle Busse, stellte mir vor, wie ich mich in die schwitzende Masse Mensch
quetschen und er sich hinter mir hineindrängen würde. Aber wir waren kaum drin, da wollten wir schon wieder raus. Entschieden zu hautnah, fanden wir. Ich schlängelte mich durch die
hineindrängenden, wütenden Heimkehrer zum Ausgang und trat dabei einer Frau auf den Fuß. » E non chiede manco scusa, kann sich noch nicht mal
entschuldigen«, zischte sie den Umstehenden zu, die uns nicht rauslassen wollten.
Schließlich winkten wir einem Taxi. Als wir dem Fahrer unser Hotel genannt hatte, und er uns Englisch sprechen hörte, fuhr er ohne ersichtlichen Grund ein paar Umwege.
» Inutile prendere tante scorciatoie, diese Abkürzungen sind unnötig, wir haben es nicht eilig«, sagte ich in römischem Dialekt.
Zu unserer großen Freude hatte das größere der nebeneinanderliegenden Zimmer sowohl einen Balkon als auch ein Fenster, und als wir die Balkontüren öffneten, spiegelten
in der unverstellten Weite unter uns die schimmernden Kuppeln unzähliger Kirchen die Sonne wider. Wir fanden Blumen und eine Obstschale vor, dazu eine Nachricht von Olivers italienischem
Verleger: »Komm gegen halb neun in die Buchhandlung. Bring dein Manuskript mit. Sie machen eine Party für einen unserer Autoren. Ti aspettiamo, wir erwarten
dich.«
Wir hatten eigentlich nur essen und hinterher herumschlendern wollen. »Bin ich denn auch eingeladen?«, fragte ich etwas unbehaglich. »Jetzt schon«, gab er
zurück.
Wir setzten uns vor den Fernseher, griffen in die Obstschale und schälten uns gegenseitig Feigen.
Er beschloss zu duschen. Als ich ihn nackt sah, zog ich mich sofort auch aus. »Nur eine Sekunde«, sagte ich, als unsere Körper sich berührten, denn ich mochte die
Feuchtigkeit, die überall an ihm haftete. »Schade, dass du dich waschen musst.« Sein Geruch erinnerte mich an Marzia und daran, dass auch sie immer nach Salz und Meer gerochen
hatte, es war ein Geruch, der an windstillen Tagen scharf und aschig aus dem heißen Sand hochstieg. Ich mochte das Salz an seinen Armen, seinen Schultern, an kantigen Rückenwirbeln, die
noch so neu für mich waren. »Wenn wir uns jetzt hinlegen, wird nichts aus der Party«, sagte er.
Dieser Satz, gesprochen aus einer Glückseligkeit heraus, die uns niemand würde nehmen können, sollte mich später immer wieder in jenes Hotelzimmer und an jenen schwülen
Ferragosto-Tag zurückversetzen, als wir beide splitternackt, die Arme aufs Fensterbrett gestützt, in den heißen römischen Spätnachmittag blickten, beide noch nach dem
stickigen Abteil des Zuges riechend, der sich inzwischen wohl Neapel näherte und in dem wir Kopf an Kopf unter den Augen der anderen Fahrgäste geschlafen hatten. Ich wusste, als ich mich
in die Abendluft hinauslehnte, dass dies vielleicht ein einmaliges Geschenk war, und doch konnte ich es kaum glauben. Er musste denselben Gedanken gehabt hatten, als wir, die beeindruckende
Stadtlandschaft im Blick, nebeneinander standen, rauchten und frische Feigen aßen. Und weil es uns wohl beide drängte, an diesem Tag etwas wie ein Zeichen zu setzen, folgte ich wie
selbstverständlich meinem Gefühl, strich mit der linken Hand über sein Gesäß und schob meinen Mittelfinger in ihn hinein. »Wenn du so weitermachst, ist die Party
definitiv gestrichen«, wandte er ein. Er könne gern weiter aus dem Fenster sehen,
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