Ruge Eugen
Klostergans machen wie immer. Zum Kaffee gab es selbstgebackenen Stollen. Und wenn die Weihnachtsgans verzehrt und der Stollen gegessen war, dachte Irina, während sie die getrockneten Feigen und Aprikosen in Streifen schnitt, wenn das Politik-Gerede abgeflaut und das Geschenkeauspacken überstanden war, wenn sie das Geschirr eingeweicht und Charlotte wieder ins Pflegeheim gebracht hatte, dann, dachte Irina, würde sie sich einen Kognak genehmigen – nur einen! – und jene Stunde genießen, die zu Weihnachten immer die schönste gewesen war: die Stunde danach , wenn sie sich in der Sitzecke niederließen und Kurt seinen Vanilletabak zu schmauchen begann, wenn die Männer, nachdem man sich hinreichend über die kleinen und großen Katastrophen des Abends amüsiert hatte, schließlich die Ärmel hochkrempelten und noch ein, zwei Partien Schach spielten …
Im Radio begann eine klägliche Kirchenmusik zu dudeln. Irina drehte die Lautstärke herunter, schaltete aber nicht ab, sicherheitshalber, auch wenn es natürlich reiner Aberglaube war zu befürchten, Sascha könnte etwas passieren, wenn sie aufhörte, die Verkehrsmeldungen zu verfolgen. Sie nahm ein paar kräftige Züge von ihrer halb schon im Aschenbecher verglommenen Zigarette, drückte sie sorgfältig aus. Dann zerließ sie ein halbes Stück Butter in einem halbhohen Topf, schwenkte das kleingeschnittene Obst darin und gab einen Schuss Kognak dazu. Ein Schwall süßen Duftes wehte ihr entgegen, und es war der Geruch von – Whisky , tschort poderi!
Irina betrachtete verdutzt die Flasche, die sie extra für den Weihnachtsabend gekauft hatte. Geschlagene zehn Minuten hatte sie vor dem Regal verbracht. Noch immer hatte sie sich nicht an die verwirrende Vielzahl der Marken gewöhnt. Das Einzige, was es neuerdings nicht gab, war – auch seltsam – armenischer Kognak. Dafür gab es französischen, griechischen, spanischen, italienischen, österreichischen und weiß der Teufel was noch. Und nach langem Hin und Her hatte sie sich schließlich für einen besonders teuren, indischen Kognak entschieden, was Ausgefallenes, hatte sie gedacht, für die Feiertage – und jetzt war es Whisky!
Sie kostete das Obst-Whisky-Gemisch – schmeckte nicht schlecht, aber eigentümlich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die schöne, durch die halbierten frischen Weinbeeren besonders fruchtig geratene Flüssigkeit sorgfältig in ein Glas abzugießen (viel war’s nicht, aber wer weiß, wozu man das nochmal verwenden konnte) und die Früchte noch einmal aufzusetzen – aber womit? Rum könnte gehen, dachte Irina. Zumindest für die Füllung der Gans. Für den Sud würde sie mit Portwein und Honig auskommen.
Sie ließ die Früchte fünf Minuten in Rum ziehen. Inzwischen kümmerte sie sich um die Gans: nahm die Innereien heraus, legte sie in eine Schüssel, wusch die Gans, tupfte sie mit Küchenkrepp ab – Küchenkrepp, die Erfindung, deretwegen sich die Wende gelohnt hatte, pflegte Kurt neuerdings zu witzeln. Sie schnitt das überschüssige Fett ab, nahm die Talgdrüse heraus, stach die Gans unter den Flügeln an und rieb sie mit Salz ab, innen und außen. Dann stopfte sie die Füllung hinein und nähte das Tier zu, eine Verrichtung, die seit einiger Zeit, genauer gesagt: seit ihrer Totaloperation, unangenehme Assoziationen hervorrief … Aber auch daran wollte sie lieber nicht denken.
Jetzt hatte sie vergessen, den Backofen vorzuheizen. Sie entzündete das Gas, setzte, dasselbe Streichholz benutzend, gleich noch Wasser auf und verbrannte sich ein bisschen die Finger, als sie sich, noch immer am selben Streichholz, eine Zigarette ansteckte. Dann betrachtete sie in Ruhe die Flasche, die sie versehentlich gekauft hatte: Single Malt stand drauf, von Whisky kein Wort – oder so klein, dass sie es ohne Brille nicht lesen konnte. Nun musste sie wenigstens einmal kosten, wie das Zeug pur schmeckte. Gerade als sie die Flasche ansetzte, stand Kurt in der Tür.
– Ich koste nur, sagte Irina.
Zum Beweis hielt sie die Flasche hoch, aber da sie bereits etwas für die Füllung verbraucht hatte, fehlte ein guter Teil.
– Na, wunderbar, sagte Kurt, dann muss ich jetzt wohl Charlotte abholen.
– Warte, ich schiebe die Gans rein, dann fahr ich, sagte Irina.
Kurt hob abwehrend die Hand:
– Ich nehm ein Taxi.
– Ich habe nichts getrunken, sagte Irina noch einmal.
– Kommt gar nicht in Frage, sagte Kurt. Ich mach das jetzt. Nur eine Bitte, Iruschka: Hör auf zu trinken. Heute kommen
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